Herrin Der Stürme - 2
umgebracht, aber das habe ich nicht, Cousine. Ich wollte ihn nicht umbringen – ich wollte ihn nur dazu bringen, die Hände von mir zu nehmen.«
Der Anblick des schluchzenden Kindes erzeugte in Renata den spontanen Impuls, die Arme um Dorilys zu legen und sie zu besänftigen. Natürlich hat sie ihn nicht umbringen wollen! Wie grausam, ein so junges Mädchen Blutschuld ertragen zu lassen! Aber in dem Augenblick, in dem sie sich bewegen wollte, hielt ein intuitiver Gedankenblitz sie zurück.
Wie jung sie auch war, Dorilys besaß ein Laran, das töten konnte. Dieses Laran, in der Hand eines Kindes, das zu jung war, ein vernünftiges Urteil darüber zu fällen … allein der Gedanke daran ließ Renata schaudern. Wenn Dorilys alt genug war, dieses schreckliche Laran zu besitzen, dann war sie auch alt genug — sie mußte einfach alt genug sein –, Kontrolle und angemessene Anwendung zu erlernen. Die Kontrolle des Laran war nicht leicht. Niemand wußte besser als Renata, wie schwierig die harte Arbeit und Selbstbeherrschung, die schon im frühesten Stadium erforderlich waren, sein konnte. Wie sollte ein verzogenes und verwöhntes kleines Mädchen, dessen Wort für ihre Kameraden und die sie anbetende Familie immer Gesetz gewesen war, die Disziplin und innere Motivation finden, diesen schwierigen Pfad zu verfolgen? Vielleicht würde sich auf lange Sicht der Tod, den sie verursacht hatte, im Zusammenhang mit ihren Schuldgefühlen als Glück erweisen. Renata setzte bei ihrem Unterricht nicht gerne Angst ein, aber im Moment wußte sie noch nicht genug über Dorilys, um nicht jeden kleinsten Vorteil in Anspruch zu nehmen, den sie bei der Ausbildung des Mädchens haben konnte.
Also berührte sie Dorilys nicht, sondern ließ sie weinen und betrachtete sie mit einer abgelösten Zärtlichkeit, auf die ihr ruhiges Gesicht und ihr Verhalten nicht den mindesten Hinweis gaben. Schließlich sagte sie – und sprach dabei die erste Lektion aus, die man ihr am Anfang des Unterrichts im Hali-Turm gegeben hatte: »Laran ist eine entsetzliche Gabe und eine entsetzliche Verantwortung. Es ist nicht leicht zu beherrschen. Es liegt an dir, ob du es kontrollieren willst, oder ob es dich kontrolliert. Wenn du bereit bist, hart zu arbeiten, wird der Tag kommen, an dem du die Anweisungen gibst – und nicht deine Kraft. Darum bin ich hier, um dich zu unterrichten, daß solche Dinge nicht wieder passieren.«
»Du bist hier in Aldaran mehr als willkommen«, sagte Lord Aldaran, während er sich in seinem hohen Stuhl nach vom beugte und Allart in die Augen blickte. »Es ist lange her, seit ich die Freude hatte, mich mit jemandem aus unserer Tiefland-Verwandtschaft zu unterhalten. Ich bin sicher, es wird dir hier gefallen. Aber ich rede mir nicht ein, daß der Erbe von Elhalyn eine Aufgabe auf sich nahm, die jeder Friedensmann oder Bannerträger hätte erledigen können, nur um mir eine Ehre zu erweisen, wenn die Elhalyns sich im Krieg befinden. Entweder willst du oder das Elhalyn-Reich etwas von mir, was keineswegs dasselbe sein muß. Willst du mir nicht den Grund deiner wahren Mission nennen, Verwandter?«
Allart wägte ein Dutzend Antworten ab und beobachtete dabei das Spiel des Feuers auf dem Gesicht des alten Mannes. Er wußte, daß es seine Gabe war, die das Gesicht hundert verschiedene Züge tragen ließ: Güte, wilde Wut, verletzten Stolz, Ärger. Hatte seine Mission allein das Ziel, diese Reaktionen in Lord Aldaran hervorzurufen, oder sah er jetzt etwas, das sich später zwischen ihnen ereignen würde?
Schließlich sagte er, jedes Wort abwägend: »Mein Fürst, was Ihr sagt, trifft zu, obwohl es eine Ehre war, mit Eurem Pflegesohn nach Norden zu reiten. Allerdings habe ich es nicht bedauert, in einiger Entfernung von diesem Krieg zu sein.«
Aldaran runzelte die Brauen und sagte: »Ich hätte vermutet, daß du in Kriegszeiten nicht den Wunsch hast, euer Reich zu verlassen. Bist du nicht der Erbe deines Bruders?«
»Sein Regent und Bewacher, Sir, aber ich bin durch Eid gebunden, den Anspruch seiner Nedestro-Söhne zu unterstützen.«
»Mir scheint, du hättest für dich besseres als das tun können«, sagte Dom Mikhail. »Sollte dein Bruder im Feld sterben, solltest du besser geeignet sein, das Reich zu regieren, als irgendein Haufen kleiner Jungen, seien sie nun legitime Söhne oder Bastarde, und ohne Zweifel würde es dein Volk lieber haben. Es gibt ein wahres Sprichwort: Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch! So
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