Herrin Der Stürme - 2
erinnerte sich verschwommen an Bruchteile eines schwindenden Traumes, an Feuer, die Schwingen eines Gleiters, Donals Gesicht. »Nein, es macht nichts, Kind. Lucetta hätte mich ohnehin bald geweckt, damit ich zum Essen nach unten gehe.« Dorilys kam hinter dem Vorhang hervor und setzte sich auf den Bettrand. »War die Reise sehr ermüdend, Domna? Ich hoffe, Ihr werdet Euch von der Anstrengung bald erholen.«
Über die Mischung aus Kindlichkeit und erwachsener Höflichkeit mußte Renata lächeln. »Du sprichst sehr gut Casta, Kind. Wird es hier viel gesprochen?«
»Nein«, antwortete Dorilys, »aber Margalis wurde in Thendara ausgebildet und sagt, ich solle lernen, es gut zu sprechen, damit es niemanden gibt, der mich eine Wilde aus den Bergen nennt, wenn ich einmal dorthin komme.«
»Dann hat Margali gute Arbeit geleistet. Deine Aussprache ist sehr gut.«
»Ihr wurdet auch in einem Turm ausgebildet, Vai Leronis?«
»Ja. Aber es ist nicht nötig, daß du so förmlich bist«, sagte Renata, die sich spontan für das Mädchen erwärmte. »Nenn mich Cousine oder Verwandte, ganz wie du willst.«
»Für eine Leronis siehst du sehr jung aus, Cousine«, sagte Dorilys, die das persönlichere der beiden Worte wählte.
Renata erwiderte: »Ich habe ungefähr in deinem Alter angefangen.« Dann zögerte sie, denn für die vierzehn oder fünfzehn Jahre, nach denen sie aussah, wirkte Dorilys sehr kindlich. Wenn sie sie als Tochter eines Adeligen erziehen sollte, mußte sie dem ein schnelles Ende setzen, daß ein so großes Mädchen mit wehendem Haar über den Hof tobte und wie ein Kleinkind umherrannte und schrie. Sie fragte sich, ob Dorilys vielleicht geistig etwas zurückgeblieben war. »Wie alt bist du … fünfzehn?«
Dorilys lächelte und schüttelte den Kopf. »Jeder sagt, daß ich so aussehe, und Margali langweilt mich Tag und Nacht damit, mir zu sagen, daß ich zu alt und zu groß bin, dies oder jenes zu tun. Ich bin erst elf Jahre alt. In der Zeit der Sommerernte werde ich zwölf.«
Renata revidierte sofort ihre Einschätzung. Sie war also nicht die kindliche und schlechterzogene junge Frau, nach der sie aussah, sondern ein ausgesprochen frühreifes Mädchen. Vielleicht war es ihr Unglück, daß sie älter aussah, denn jeder erwartete von Dorilys Erfahrung und Urteilskraft, die sie in diesem Alter schwerlich besitzen konnte. Dorilys fragte: »Bist du gern eine Leronis geworden? Was ist eine Überwacherin?«
»Das wirst du herausfinden, wenn ich dich überwache. Das muß ich tun, ehe ich dich in Laran unterrichte«, antwortete Renata.
»Was hast du im Turm getan?«
»Viele Dinge«, erwiderte Renata. »Metalle an die Erdoberfläche gebracht, damit die Schmiede mit ihnen arbeiten konnten. Batterien für Lampen und Luftwagen aufgeladen; in den Verstärkern gearbeitet, um ohne Stimme mit den Bewohnern anderer Türme zu sprechen – damit das, was in einem Reich geschah, allen bekannt wurde, viel schneller, als ein Bote reiten kann …«
Dorilys lauschte und ließ schließlich einen langen, faszinierten Seufzer vernehmen. »Und wirst du mich lehren, diese Dinge zu tun?« »Vielleicht nicht alle, aber du wirst jene Dinge lernen, die du als Fürstin eines großen Reiches wissen mußt. Und darüber hinaus solche, die alle Frauen wissen sollten, wenn sie ihr Leben und ihren Körper unter Kontrolle haben wollen.«
»Wirst du mir beibringen, Gedanken zu lesen? Donal, Vater und Margali können Gedanken lesen, und ich kann es nicht, und sie können sich unterhalten, und ich kann es nicht hören, und das macht mich zornig, weil ich weiß, daß sie über mich sprechen.«
»Das kann ich dir nicht beibringen, aber wenn du die Begabung hast, kann ich dir beibringen, sie zu nutzen. Du bist noch zu jung, daß man wissen kann, ob du sie hast oder nicht.«
»Werde ich eine Matrix bekommen?«
»Wenn du lernen kannst, sie zu benutzen«, sagte Renata. Sie fand es merkwürdig, daß Margali das Kind noch nicht geprüft und gelehrt hatte, sich auf eine Matrix einzustimmen. Nun, Margali war alt an Jahren. Vielleicht fürchtete sie das, was ihr Zögling — dickköpfig und reifer Urteilsfähigkeit ermangelnd – mit der enormen Kraft der Matrix anstellen würde. »Weißt du, welcher Art dein Laran ist, Dorilys?« Das Kind senkte den Blick »Ein wenig. Du weißt, was bei meiner Verlobung geschah …«
»Nur, daß dein dir versprochener Ehemann plötzlich starb.«
Plötzlich fing Dorilys zu weinen an. »Er ist gestorben – und alle sagten, ich hätte ihn
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