Herrin Der Stürme - 2
mein Pflegevater erwartet uns.«
Während des langen Ritts hatte Allart die in Nevarsin erlernten Techniken angewandt, um die auf ihn eindringenden Zukunftsmöglichkeiten fernzuhalten. Da er sie nicht beeinflussen konnte, wußte er, daß es eine Form der Schwäche war, wenn er sich mit ihnen abgab. Dieser Schwäche durfte er nicht nachgeben. Er mußte sich mit dem befassen, was kam – und durfte nur dann vorausschauen, wenn sich eine vernünftige Möglichkeit bot, zu entscheiden, welche mögliche Entwicklung durch eine Entscheidung, die tatsächlich seiner Kontrolle unterlag, verstandesmäßig beeinflußt werden konnte. Aber als sie die Spitze des steilen Hanges erreicht hatten, aus Hagel und Wind in einen geschützten Hof gelangten, und Diener sich um sie scharten, um ihnen die Pferde abzunehmen, wußte er, daß er diese Szene schon einmal erlebt hatte. Durch die momentane Orientierungslosigkeit vernahm er den Aufschrei einer schrillen, kindlichen Stimme, und es schien ihm, als sähe er Blitze aufflakkern. Er fuhr zurück, noch bevor er sie tatsächlich hörte. Es entpuppte sich schließlich alles als ganz einfach: keine Gefahr, kein Aufzucken merkwürdiger Blitze, nichts als die Stimme eines fröhlichen Kindes, das Donals Namen rief. Mit fliegenden Zöpfen rannte ein kleines Mädchen aus dem Schutz eines Bogenganges und umschlang ihn mit beiden Armen.
»Ich wußte, daß du es warst – mit den Fremden. Ist das die Frau, die meine Lehrerin sein soll? Wie heißt sie? Magst du sie? Wie ist es in den Tiefländern? Blühen die Blumen dort wirklich das ganze Jahr über? Hast du auf der Reise irgendwelche nichtmenschlichen Wesen gesehen? Hast du mir Geschenke mitgebracht? Was sind das für Leute? Was sind das für Tiere, die sie reiten?«
»Sachte, sachte, Dorilys«, meinte eine tiefe Stimme vorwurfsvoll. »Unsere Gäste werden uns tatsächlich für Bergbarbaren halten, wenn du wie ein schlecht erzogenes Gallimak daherplapperst. Laß deinen Bruder los und begrüße unsere Gäste wie eine Dame!«
Donal ließ zwar zu, daß das Mädchen seine Hand umklammerte, als er sich seinem Pflegevater zuwandte, ließ sie aber los, als Mikhail von Aldaran ihn in eine enge Umarmung zog.
»Junge, ich habe dich sehr vermißt. Willst du uns nicht unsere ehrenwerten Gäste vorstellen?«
»Renata Leynier, Leronis vom Hali-Turm«, sagte Donal. Renata machte einen tiefen Knicks vor Lord Aldaran.
»Verehrte Dame, Ihr erweist uns Gnade. Wir sind hochgeehrt. Erlaubt mir, meine Tochter und Erbin vorzustellen: Dorilys von Rockraven.« Dorilys senkte scheu die Augen, als sie einen Knicks machte. »S’dia shaya, Domna«, sagte sie schüchtern.
Dann stellte Lord Aldaran Margali vor. »Das ist die Leronis, die sich seit ihrer Geburt um sie kümmert.«
Renata blickte die alte Frau forschend an. Trotz der blassen, zerbrechlichen Gesichtszüge, des ergrauten Haars und der Altersfurchen ihres Gesichts trug sie noch immer den undefinierbaren Stempel der Kraft.
Renata dachte: Wenn sie seit ihrer Geburt in der Obhut einer Leronis war, und Aldaran fühlt, daß sie stärkere Fürsorge und Kontrolle braucht – was, im Namen aller Götter, befürchtet er für dieses kleine Mädchen?
Donal stellte Allart seinem Pflegevater vor. Allart, der sich vor dem alten Mann verbeugte, hob die Augen, um in das Falkengesicht von Dom Mikhail zu blicken und wußte sofort, daß er es in Träumen der Vorausschau vorher gesehen hatte. Er spürte ein Gefühl aus Zuneigung und Angst. Irgendwie war dieser Bergfürst der Schlüssel zu seinem Schicksal – aber er konnte nur einen Gewölberaum sehen, weißen Stein wie in einer Kapelle, flackernde Flammen, und Verzweiflung. Er versuchte die unwillkommenen, verwirrenden Bilder niederzukämpfen, bis er eine verstandesmäßige Entscheidung zwischen ihnen treffen konnte.
Mein Laran ist ohne Nutzen, dachte er, außer, daß es mich ängstigt! Als sie durch das Schloß zu ihren Zimmern geführt wurden, sah sich Allart erregt nach dem Gewölbe aus seiner Vision um, nach dem Ort der Flammen und der Tragödie. Aber er sah ihn nicht und fragte sich, ob er überhaupt irgendwo auf Burg Aldaran war. Er konnte in der Tat überall sein – oder, dachte er bitter, nirgendwo.
15
Renata wachte auf, als sie die Anwesenheit eines Fremden spürte. Dann sah sie Dorilys’ hübsches, kindliches Gesicht hinter einen Vorhang hervorspähen.
»Es tut mir leid«, sagte Dorilys. »Habe ich Euch aufgeweckt, Domna?« »Ich glaube schon.« Renata blinzelte,
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