Herrin des Blutes - Thriller
derartige Macht verfügte, ohne Weiteres in der Lage, ein paar Camp-Whiskey-Invasoren auszulöschen, als wären sie ein Schwarm lästiger Mücken.
Allyson warf ihm einen verwirrten, ungeduldigen Blick zu. »Was?« Sie konzentrierte sich wieder auf den Flur vor ihnen und schaute gelegentlich nach links oder rechts, wenn sie eine offen stehende Tür passierten. »Konzentrier dich auf das Naheliegende, Chad. Das ist nicht der richtige Moment, um abgelenkt zu sein.«
Das eben noch völlig ausgefranste Einschussloch war zwischenzeitlich auf die Größe eines kleinen schwarzen Punktes an der Wand zusammengeschrumpft. Im nächsten Moment war auch dieser verschwunden. »Ja. Natürlich.« Chad schüttelte den Kopf und schob den Lauf seines Gewehrs in die Tür zu seiner Rechten. Er lugte hinter den Türrahmen und sah einen zitternden, zu Tode erschrockenen Schüler unter einem Schreibtisch vor der Wand am anderen Ende des Raums kauern. »Egal, war ohnehin nicht so wichtig«, murmelte er in Richtung Allyson.
Sie bedachte ihn mit einem weiteren irritierten Blick. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, einige widerspenstige blonde Strähnen umspielten den Hals. Das Gesicht war von einer Schicht aus Schweiß und Ruß überzogen. Merkwürdigerweise verspürte er trotzdem spontan einen heftigen Drang, sie zu küssen. Sie war unglaublich schön. Er glaubte, dass er ihre Schönheit bis zu diesem Moment noch nie wirklich registriert hatte. Selbst inmitten einer Schlacht wirkte sie unglaublich sexy.
Sie hob eine Augenbraue. »Bist du wirklich okay? Dann hör bitte auf, mich wie ein Schwachsinniger anzugrinsen! Wir kämpfen hier immerhin um unser Leben.«
Chad zwang sich, ihrer Aufforderung nachzukommen, und nickte entschlossen. »Du hast völlig recht. Es tut mir leid.«
Sie arbeiteten sich ins nächste Stockwerk vor. Chad hatte längst den Überblick verloren, wie viele Treppenstufen sie bereits hinter sich gelassen hatten, aber er wusste, dass es grotesk viele für ein Haus waren, das von außen wie eine eingeschossige Bruchbude rüberkam. Diese Etage wirkte anders als die anderen. Weitläufiger und deutlich besser beleuchtet. Die Vertäfelungen waren aufwendiger gestaltet. Und am Ende des langen Korridors empfing sie eine mächtige Flügeltür, die bis in den Himmel zu reichen schien. Chad bemerkte erst jetzt, dass sich auch die Decke im weiteren Verlauf des Flurs steil nach oben schwang.
Einer der Männer vor ihnen fluchte: »Gottverdammt. Ich hoffe, wir müssen da nicht rein.« Links neben ihm meldete sich ein weiterer mit einem nervösen Kichern zu Wort. »Scheiße, Mann, ja. Sieh dir nur mal diese verfluchten Monstertüren an. Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass wir vor der Wohnung von Familie Riese stehen.«
Der andere zitterte merklich und erwiderte: »Sag doch so was nicht, verdammt. Diese ganze Scheiße hier ist so schon an Absurdität nicht zu überbieten.«
Bai befand sich an der Spitze der dezimierten Truppe von Kämpfern. Sie erreichte die Flügeltür, machte kehrt und wartete mit vor der Brust verschränkten Armen darauf, dass sich die verbleibende Camp-Whiskey-Armee vor ihr versammelte. Nun, wo sich der Rauch verzogen hatte und sie in diesem breiten Flur standen, war nicht mehr zu übersehen, dass nur wenige übrig geblieben waren. Die Größe ihrer Truppe hatte sich um mehr als die Hälfte verringert, erkannte Chad.
Bai ergriff das Wort. »Der Sieg gehört uns.«
Sie zog schwungvoll das Schwert aus der Scheide und wanderte durch die losen Reihen der überlebenden Camp-Whiskey-Streitkräfte. Wie ein schwarzer, diffuser Schatten huschte sie durch den Flur. Die lange Klinge blitzte wie ein silberner Lichtstrahl mal hierhin, mal dorthin. Die Kämpfer fielen in rascher Folge unter ihren traumwandlerisch sicher geführten Attacken. Die meisten von ihnen waren zu überrascht, um sich zu wehren. Einer oder zwei von ihnen versuchten unbeholfen, sich gegen ihr drohendes Schicksal zu wenden, starben jedoch bei dem Versuch. Es war ebenso schnell vorbei, wie es begonnen hatte.
Als Bai ihr Schwert in die Scheide zurücksteckte, waren lediglich Chad, Allyson und Jim verschont geblieben.
Chad starrte sie mit offenem Mund an. »Warum zur Hölle hast du das getan?«
Bais Miene wirkte nüchtern. Die Wut und das Entsetzen in seiner Stimme prallten an ihr ab. Ein leises Lächeln verdüsterte ihre Mundwinkel. »Sie wurden nicht länger benötigt.«
Chads Herz raste in seiner Brust.
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