Herrin des Blutes - Thriller
besten ignorieren sollte.
Bring sie um, dachte sie. Murks sie ab und bring es endlich hinter dich.
Aber sie zögerte erneut. Die Furcht kehrte zurück. Sie stellte sich schwarz gewandete Attentäter des Ordens vor, die mitten in der Nacht in ihr Schlafgemach eindrangen. Sie konnte die tödliche Klinge regelrecht an der Kehle spüren und wusste, dass sie es trotz all ihrer Macht nicht würde verhindern können. Die Überzeugung, nur eine Chance auf Überleben zu besitzen, wenn sie mehr Wissen sammelte, machte sich in ihr breit.
Sie senkte den Speer. »Spar dir die Andeutungen und sag es mir.«
»Du hast Angst. Gut. Ich hoffe, dass du die wenigen Nächte, die dir noch bleiben, erfüllt von blanker Furcht verbringst. Und wenn du nachts wach liegst und darauf wartest, dass sie kommen und dich holen, dann denk an mich. Ich habe ihnen das Foto von Miss Wickmans Leiche geschickt. Ich habe ihnen den Tipp gegeben, Giselle. Ich bin der Grund dafür, dass all deine großen Pläne bald wie eine Seifenblase zerplatzen.« Gwendolyns Lächeln verblasste, und in ihre Stimme schlich sich ein nüchternerer Unterton. »Aber ich habe es nicht allein geschafft.«
»Ich glaube dir nicht.« Giselle schluckte schwer. »Was willst du damit andeuten?«
»Es sind Verräter in deiner Mitte, Giselle. Andere Menschen, deren Groll du durch deinen Putsch auf dich gezogen hast. Ich habe eine Frage für dich, die dir in diesen langen, schlaflosen Nächten gewiss des Öfteren durch den Kopf gehen wird: Wer hat das Foto geschossen, das ich an den Orden geschickt habe?«
Giselle holte mit dem Speer aus. Die Spitze tauchte unter Gwendolyns Brustbein ein. Sie schnappte nach Luft und kippte nach hinten. Der Käfig rasselte. Die schwere Kette knarrte und verdrehte sich. Dann fing das Mädchen erneut an zu lachen – eine grauenhafte Zurschaustellung ihrer Heiterkeit, die Giselle halb wahnsinnig machte und wie ein Schwarm brummender Heuschrecken in ihren Ohren dröhnte.
»Erzähl mir, wer diese Verräter sind!« Giselle stieß erneut mit dem Speer zu und riss eine tiefe Wunde in die Rückseite von Gwendolyns Oberschenkel. Noch mehr Blut triefte auf den Steinfußboden unter dem Käfig. Mit einem weiteren heftigen Stoß bohrte Giselle die Waffe in die rechte Pobacke des Mädchens. Blutrote Flecken, wohin das Auge blickte.
Gwendolyn setzte sich auf, kroch wieder an die Seite des Käfigs und grinste Giselle höhnisch an. »Das wirst du niemals erfahren, du blöde Fotze. Nicht, bevor es zu spät ist. Aber ich habe noch eine letzte Überraschung für dich. Einer von ihnen hat ein Geschenk für mich dagelassen.«
Sie öffnete die geballte Faust und gab eine glänzende Rasierklinge preis.
Giselle riss die Augen auf. »Nein.«
Gwendolyn lachte ein letztes Mal und ließ die Rasierklinge dann mit einer einzigen schnellen Bewegung über ihre Kehle gleiten. Das Fleisch an ihrem Hals klaffte auf wie bei einem Reißverschluss und aus der Wunde schoss eine mächtige scharlachrote Fontäne. Sie sackte nach hinten, und die Rasierklinge rutschte aus den verbliebenen Fingern ihrer rechten Hand. Ihr Körper zuckte ein letztes Mal und blieb dann reglos liegen. Giselle starrte mit offenem Mund und voller Entsetzen auf die leblose Gestalt. Diese Wendung der Ereignisse erschien ihr irreal. Innerhalb weniger Sekunden hatten sich ihre tiefsten Ängste als berechtigt erwiesen. Einige Personen, die in ihren Diensten standen, arbeiteten aktiv gegen sie. Einen Moment lang fiel ihr das Atmen schwer. Die widerliche Dunkelheit, die hinter dem flackernden Schein der Kerzen lauerte, schien sie packen zu wollen …
Giselle rannte aus der Kammer und versiegelte sie. Sie zitterte, als sie sich das Ausmaß des Schadens in ihren Gemächern erneut besah. Die meisten der verkaterten Partygäste hatten noch immer nicht das Bewusstsein zurückerlangt, aber ein junger Mann, der über einem Liegestuhl hing, gähnte lautstark und begann, sich aufzurappeln.
Giselle rammte den Speer in seine Brust. Er riss die Augen auf, aber ihm blieb nicht mehr als ein Sekundenbruchteil, um zu begreifen, wie ihm geschah. Dann durchdrang die Speerspitze seinen Rücken und spießte ihn auf. Unendliche Wut kochte in Giselle hoch, als sie den Speer aus dem Körper des toten Jungen riss und sich über ein schlafendes Pärchen stellte, das ineinander verschlungen auf dem Boden lag. Der Speer drang mit derselben Gleichgültigkeit in ihre Körper ein, während die magische Kraft durch Giselles Körper schoss, sie
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