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Herrin wider Willen

Herrin wider Willen

Titel: Herrin wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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Christopher ihm den bequemsten Lehnstuhl an den Tisch rückte wie einem alten Mann, und drei Gläser auf den Tisch stellte. »Wo ist Ada? Sie soll den Wein auch probieren, damit sie weiß, was sie im Keller hat. Ich hole sie.«
    »Nein.« Lenz sah an Christophers Gesicht, wie grob er wirkte. Er räusperte sich. »Sie … sie ist gerade in ihre Kammer gegangen.«
    Christopher richtete sich betroffen auf. »Geht es ihr nicht gut?«
    Das war der Moment, in dem Lenz einsah, dass er mit seinem Freund über alles sprechen konnte, aber nicht ernsthaft über das Problem Konrade von der Wenthe.
     
    Am folgenden Tag, kurz nach dem kargen Mittagessen, als die Hälfte der auf dem Gut lebenden Menschen sich zu einer Ruhepause zurückgezogen hatte, betrat Lenz den Stall. Seinem Knie ging es womöglich noch schlechter als kurz nach seinem Wutanfall, aber davon wollte er sich nicht aufhalten lassen.
    Sein Vater hatte, wie für Gutsherren üblich, seinen Stall mit gutem Zuchtvieh bestückt. Sollte es einen Fortschritt in der Zucht geben, musste der Grundherr dafür sorgen, denn die meisten Bauern konnten es sich nicht leisten, einen Bullen, Hengst oder Eber zu halten und zu schonen, nur weil er gute Anlagen hatte.
    Lenz war sicher, auf der richtigen Spur zu sein. Gleich vorn beim Eingang war der erste Hengststall. Ein schwerer, alter Ardenner-Hengst stand darin, ein grauer Riese, der in früheren Zeiten einen gerüsteten Ritter hätte tragen können und nun die besten Zugpferde zeugte. Er hatte das dicke Winterfell noch nicht ganz verloren und sah struppig aus. Gutmütig wirkte er außerdem, er grüßte Lenz mit einem tiefen, kehligen Wiehern.
    Lenz rieb ihm die Stirn und musterte dabei den mit wenig Stroh ausgestatteten Boden unter den Hufen des Tieres. Alter steiniger Boden, seit vielen Jahrzehnten festgetreten.
    Er hatte nichts anderes erwartet.
    Nach einem Abschiedsklopfen auf den Pferdehals machte er sich auf den Weg zu dem großen, schwarzen Bullen, der im anderen Flügel des Stalles untergebracht war.
     
    Dierk hatte Lenz’ Weg vom Haus zum Stall von der Dachluke des Heubodens aus verfolgt. Er hatte dort oben Rattenfallen gebaut, eine seiner liebsten Beschäftigungen. Es ging ihm weniger darum, die lästigen Nager zu beseitigen. Auch gab ihm niemand einen Heller für jeden Rattenschwanz, wie es in manchen Städten üblich war. Es machte ihm Spaß, die Fallen zu konstruieren. Immer neue Methoden dachte er sich aus, hätte am liebsten Tag und Nacht in Werkstatt und Stall verbracht, um die Wirksamkeit seiner Erfindungen zu beobachten und zu verfeinern.
    Aber er wollte nicht undankbar gegen die Herrschaften sein, die ihm ein Bett im Dienstbotengeschoss des Hauses zugewiesen hatten. Ein Bett, als sei er einer von ihnen.
    Dierk wunderte sich nicht darüber, dass Lenz allein in den Stall kam. Viele Erwachsene huschten allein in den Stall und zu anderen Türen wieder hinaus: sein Freund Hans Flügge, Luise, Vogt und Grete. Sie würden ihre Gründe haben, und er hatte gelernt, dass ein Junge besser nicht alles sah und wusste. Manchmal, wenn es wild im Stroh raschelte, zog man lieber den Kopf ein und tat, als wäre man nicht da.
    Trotzdem wurde seine Neugier eine Weile später geweckt. Im Stall unter ihm hatten sich die Geräusche verändert. Eben noch gemütliches Malmen, Rascheln, Schnauben und mittägliche Ruhe, nun erschrockenes Schnaufen, Stampfen und Poltern. Eine Kuh muhte aufgebracht, der Bulle brummte dumpf. Die eingesperrte Sau mit den frischen Ferkeln ließ sich anstiften und quiekte.
    Ruck, zuck war Dierk an der Klappe nach unten, die Füße auf der Leiter, dann stand er auf dem Gang. Da gab es nichts Ungewöhnliches, also flitzte er um die Ecke. Als hätte der Blitz vor ihm eingeschlagen, blieb er stehen.
    Das Gatter vom Bullenverschlag stand einen Spalt offen. Glücklicherweise hatte der Bulle das noch nicht bemerkt. Sehr wohl bemerkt hatte der riesige, böse Fleischklotz den Mann, der in seinem Verschlag reglos am Boden lag. Schnaubend starrte er ihn an, seine Vorderklaue warf das Stroh nach hinten, Rotz tropfte von seinem Nasenring.
    »Herr Graf?« Bei Dierks Ausruf warf der schwarze Bulle den Kopf hoch. Der Junge konnte sehen, wie er darüber nachdachte, wen er zuerst zertrampeln wollte, und er wusste, dass er schneller denken musste als das Vieh.
    Die Türen nach draußen waren geschlossen. Ließ er den Bullen auf die Stallgasse, würde der sich vielleicht dem Abendfutter zuwenden, das schon bereitlag, und es wäre

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