Herrin wider Willen
Das kann ich auch dann nicht dulden, wenn ich diesen Ort endlich verlassen habe.«
»Endlich!« Ada schrie es heraus, ohne dass es ihr bewusst war. »Oh ja, da hast du recht. Wenn es endlich so weit ist, dann können wir beide glücklich sein. Herrgott, wäre ich dich nur schon los!« Sie stürmte aus dem Raum, weil sie wusste, dass sie weinen würde, und ihm auf keinen Fall die Genugtuung gönnen wollte. Blind vor Schmerz lief sie die Treppe hinauf, warf die Tür ihrer Kammer ins Schloss und verriegelte sie, bevor das Schluchzen aus ihr hervorbrach.
Unbedacht trat Lenz mit seinem kranken Bein gegen das Tischbein, nachdem Ada aus dem Zimmer gelaufen war. Brennender Schmerz durchzuckte ihn, loderte so heftig auf wie seine Gefühle. In dem Augenblick, als sie wütend geworden war und anfing, Leidenschaft zu zeigen, waren mehr Bilder zurückgekehrt. Beide Hände hatte sie über dem Kopf in die Kissen gekrallt, ihr keuchender Atem hatte ihn angefeuert. Wortlos hatten ihre weichen Lippen um jedes sündige Vergnügen gebettelt, das ihm in den Sinn kam. Oh ja, sie war willig gewesen, kein Zweifel. Und nun war er ihr zuwider, warf sie ihm niedrige Gelüste vor.
Beinah hätte er ein zweites Mal zugetreten, damit der Schmerz ihn zur Vernunft brachte. Sein Körper verlangte nach dieser Frau, aber er war kein Knabe mehr, würde deshalb nicht die Beherrschung verlieren. Sie wollte ihn nicht, und er würde sich nicht um sie bemühen. Zum einen hoffte er, dass sie in jener Nacht nicht empfangen hatte, und er wollte das Risiko nicht noch einmal eingehen. Zum anderen konnte er ohnehin nicht einer unbedeutenden Lust wegen vor Christophers Augen mit der Frau zu Bett gehen, in die der vielleicht verliebt war. Sein Freund würde über die Verliebtheit sicher hinwegkommen, aber das war kein Grund, ihn leichtfertig eifersüchtig zu machen. Sie mussten beide vernünftig sein und sich von der Frau fernhalten, dann würde ihre Freundschaft unbeschädigt bleiben und sein Plan aufgehen.
Er musste Christopher bitten, Abstand zu ihr zu halten. Auch wenn sie ihn ermutigte.
Und wenn er es nicht tat? Die beiden gingen so vertraut miteinander um. Vielleicht hatten sie es längst getan. Vielleicht hatte sein Freund schon seine Lippen auf ihren weißen Busen gedrückt. Sich in ihrem warmen Fleisch verloren.
Lenz fühlte, wie ihm die Wut bis zum Hals stieg. Er schmetterte seine Faust gegen die Seitenwand des Schrankes, wieder und wieder, dann lehnte er die Stirn gegen das kühle Holz, um sich zu beruhigen.
Seine Schläge gegen den Schrank hatten einen merkwürdig ungleichmäßigen Klang gehabt, kam ihm zu Bewusstsein. Sorgsam musterte er die Übergänge zwischen den Schrankwandbrettern und entdeckte einen Spalt, der größer war, als er sein sollte. Mit einem dünnen Briefmesser stocherte er, bis ein Riegel sich löste und das drehbare Brett ein weiteres Fach freigab. Eine gerollte Nachricht lag darin.
Mein Schatz hat einen Wächter, mit dem niemand Freundschaft schließen wird. Doch hat der treu erfüllt, worin meine Nachkommen versagten.
Lenz’ erster Impuls war, den Zettel Ada hinzuwerfen und ihr viel Freude beim Suchen zu wünschen, doch dann fühlte er sich herausgefordert. Er hatte geahnt, dass mehr Vermögen vorhanden war. Und der versagende Nachkomme – das war immerhin er selbst.
Er fragte sich, ob sein Vater geglaubt hatte, dass er diese Botschaft finden würde, denn für ihn war das Rätsel leichter zu lösen, als es das für einen anderen gewesen wäre. Versagt hatte er in den Augen seines Vaters natürlich darin, legitime Erben zu zeugen. Den Beleidigungstiraden seines Vaters verdankte er, dass er das geschmacklose Rätsel begriff.
Nach dem unbeherrschten Tritt gegen den Tisch konnte er das Bein kaum belasten. Er musste auf die Krücke zurückgreifen, die neben dem Schrank an der Wand lehnte.
Froh, etwas gefunden zu haben, das ihn von seinen Schwierigkeiten mit Ada ablenkte, wollte er sich auf den Weg zum Stall machen, kam jedoch nur bis zur Tür, wo Christopher ihn aufhielt.
»Was hast du noch vor? Es gibt bald Abendessen. Sieh mal, ich war im Weinkeller.«
Die Flasche Rotwein, die Christopher in der Hand hielt, überzeugte Lenz davon, die Schatzsuche auf den folgenden Tag zu verschieben. Es war viel zu lange her, dass er einen Abend mit seinem Freund allein verbracht hatte. Der Gedanke an ein ruhiges Gespräch mit ihm, möglichst über Dinge, die jenseits deutscher Lande lagen, heiterte ihn auf.
Das legte sich, als
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