Herrin wider Willen
Zeit gewonnen.
Zitternd, aber schnell ging er das letzte Stück. Es blieb zu hoffen, dass der Schwarze den Herrn nicht beim Hinauslaufen tottrat.
Dierk schwang das Tor auf und kauerte sich dahinter klein an der Wand zusammen. Der Bulle dachte nicht länger nach, sondern machte einen Satz über den Liegenden und polterte auf die Gasse. Mit einem wütenden Schwingen traf sein stumpf behornter Schädel das Tor, sodass es Dierk blaue Flecke schlug. Der ertrug es tapfer schweigend und kroch unter dem Tor durch, sobald der Bulle weit genug gegangen war. Dann zog er es von innen zu und schob den Riegel vor. Das Tier sah sich nicht um, sondern suchte tatsächlich das Futtergras.
»Herr Graf?«
Ada nutzte die Ruhe nach dem Mittagessen, um noch einmal durch die Vorratskammer und den Keller zu gehen. Sie schrieb dabei eine Liste der fehlenden Waren, und es war ihr lieber, wenn ihr dabei niemand über die Schulter sah.
Etwas ratlos betrachtete sie beim Licht ihrer Laterne die Weinflaschen. Sie kannte die Unterschiede nicht, daher unterteilte sie nur in Rot und Weiß.
Während sie sich mit dem Schreiben abmühte, jeden Buchstaben sorgfältig malte, fielen ihr die Briefe in der Spielzeugschachtel ein. Die Reise und ihre Ankunft hatten so viel Unruhe mit sich gebracht, dass sie nicht mehr daran gedacht hatte, sie zu lesen. Sie nahm sich vor, es bald zu tun. Wer wusste, wie lange sie dazu noch Gelegenheit haben würde? Wenn Lenz abreiste, würde er natürlich die Schachtel samt Briefen mitnehmen.
Vom Keller ging sie in die Küche, um Luise zu finden.
Auf der Bank saß die Behnsche mit Strickzeug auf dem Schoß und schlief. Die Baiersche Erna musste eben aus dem Garten hereingekommen sein, sie packte aus zwei großen Körben Frühkohl, ein paar Radieschen und Gurken auf den Tisch. Das brachte Ada darauf, dass sie sich auch den Gemüsegarten zeigen lassen musste. Müde gestand sie sich ein, dass sie vom Gärtnern wenig verstand. Sie konnte berechnen, wie viel der Garten von allem abwerfen musste, aber ob die Mohrrüben neben den Zwiebeln besser gediehen oder neben den Bohnen, das wusste sie nicht. »Ist Luise im Garten?«
Wie eine dicke Taube wirkte Erna mit ihrem kleinen Kopf, den sie nun schüttelte.
»Der Kohl sieht gut aus.«
Erna nickte mit dem Taubenköpfchen und zupfte nervös ein paar braune Blätter von den Kohlköpfen.
Die Behnsche schlief ungestört weiter. Ada seufzte und ging durch die äußere Küchentür die schmale Sandsteintreppe hinunter in den Garten. Die Stufen waren an einigen Stellen bemoost; dagegen musste etwas getan werden, bevor jemand stürzte, notierte sie gedanklich.
Ada meinte sich zu erinnern, dass der Gemüsegarten der von Bardelebens zu dieser Jahreszeit aufgeräumter ausgesehen hatte, aber vielleicht kam es darauf nicht an.
Der Garten lag neben dem hinteren Teil des Hauses und ging in die Obstwiese über. Nach vorne zum Hof hin trennte ihn ein Zaun vom Ziergarten, der kahl wirkte. In Tulpen hatte Graf Ludwig von der Wenthe offensichtlich kein Vermögen angelegt.
Ada trat durch die quietschende Pforte des Blumengartens auf den Hof. Gerade kamen die drei Männer der Flügges und der Schwarkes aus ihrem Wohnquartier im hinteren Anbau des Stalles. Von der Haustür aus rief Cornelia laut und schrill nach Grete. Im selben Moment öffnete der Knecht Ottman von außen die Stalltür.
Dierk hatte recht, schoss es Ada durch den Kopf. Der schwarze Bulle war ein Monstrum. Ein dunkler Koloss, wie er da aus dem Stall sprang, schneller, als Ottman die Tür vor ihm wieder zuknallen konnte.
»Verdammter Schietkroms. Wokeen hett de Bull rutlaten?«, brüllte Ottman. Cornelia kreischte und warf die Haustür von innen zu.
Ada ging bedachtsam rückwärts durch die Pforte zurück in den Blumengarten. Eine Böe fuhr ihr in den Rock, blähte ihn und ließ ihn flattern, die Angeln der Pforte quietschten.
Der Bulle warf sich in ihre Richtung herum, als Ada den Haken der Pforte einhängte. Sie sah ihn überlegen und zögerte nicht, sondern raffte ihren Rock, drehte sich um und rannte. Hinter sich hörte sie das dröhnende Galoppieren des Kolosses, dann das Krachen seines Schädels gegen den Holzzaun. Sie sah sich nicht um, sondern lief weiter, zu dem steinernen Zierbrunnen in der Mitte der in symmetrischen Mustern angelegten Rabatten. Erst als sie den Brunnen zwischen sich und dem Bullen wusste, sah sie sich um. Das Tier stand noch vor dem Zaun, der durch den Stoß in ganzer Länge umgekippt war. Erst als
Weitere Kostenlose Bücher