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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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kam.
»Würde sie dann noch leben? Ein Junkie? Sehe ich auf den ersten Blick.«
    »Dann siehst du zu wenig.«
    Winkler lächelte Judith zu und senkte die Stimme, damit sie die nächsten
Worte nicht hören konnte.
    »Interessant. So kenne ich dich nicht. Du wirst mich schon noch aufklären,
wenn die Zeit dafür reif ist.« Dann, lauter: »Peter Winkler. Fernmelde- und
Kommunikationswesen Süd. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
    »Kepler. Alles Weitere können Sie in Pullach abrufen. Tag die Herren.«
    Sie ignorierte seine ausgestreckte Hand, betrat den Steg und enterte den
Kutter. Quirin und Winkler sahen ihr nach.
    »Charmant«, sagte Winkler. »Dann wünsche ich mal eine angenehme Reise.«
     
    Judith stand an dem kleinen Fenster der Kombüse und schaute auf Winklers
Schuhe. Budapester. Handgenäht. Verdiente man so viel als Beamter? Die Kaimauer
endete genau in Augenhöhe. Wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte
sie das Auto sehen. Winkler und Kaiserley verabschiedeten sich. Die Budapester
gingen nach links ab, die Wanderschuhe Richtung Auto.
    Sie ging zur Spüle und ließ Wasser in ein Glas laufen, das auf dem
Abtropfbrett stand. Ein Leichtmatrose tauchte kurz auf und nickte ihr zu, sagte
aber kein Wort. Wahrscheinlich besser so. Sie trank und fragte sich, ob es
Schlaftabletten an Bord gab. Oder dieses Zeug gegen See- und Reisekrankheit.
Die zehnfache Dosis würde ihr vielleicht über die nächste Stunde helfen. Sie
ging zurück zum Fenster.
    Kaiserley trat zu Sofie und nahm sie in den Arm. Jetzt küss sie doch
einfach, dachte Judith. Darauf wartet sie schon die ganze Zeit. Als er es tat,
sah sie so lange zu, bis sie den Anblick nicht mehr ertragen konnte.
    Die Bordapotheke war in der Dusche. Judith durchwühlte den kleinen
Schrank. Die üblichen Schmerzmittel, Salben und Tinkturen. Eine kleine Flasche
mit Tabletten. Aplicabile la Insomnie. Was war das? Italienisch? Rumänisch? Sie versuchte sich zu erinnern, was
Kaiserley ihr über Rumänien gesagt hatte, aber sie konnte sich nicht mehr
konzentrieren. Die Schlange kroch durch ihre Adern wie glühendes Gift. Sie nahm
vier Tabletten auf einmal und steckte die restlichen ein. Dann schleppte sie
sich zurück in den engen Gang und fand eine dunkle, streng riechende Kabine mit
zwei übereinander angebrachten Klappbetten. Sie fiel auf das untere und
schloss die Augen. Sie versuchte, an das Gefühl zu denken, für das sie keinen
Namen hatte, aber es war fort. Verschwunden. Vielleicht sollte sie anderen
nicht beim Küssen zusehen.
     
    *
     
    Kaiserley weckte sie kurz nach Mitternacht. Er ließ Judith Zeit, ihre fünf
Sinne wieder zusammenzubekommen, und wartete an Deck auf sie. In der
Zwischenzeit ging sie unter die Dusche und zog danach Sofies Kleid an. Es
duftete schwach nach Rosen und Weichspüler. Sie knöpfte es zu bis zum Hals,
ließ ihre alten Sachen für den Bootsmann liegen, der bestimmt Verwendung dafür
hatte, und kletterte dann über die schmale Eisenstiege nach oben.
    Er stand im Führerhaus neben dem Kapitän und sah durch ein Nachtsichtgerät.
Er setzte es ab, als Judith die Tür öffnete.
    »Guten Abend«, sagte sie.
    Der Kapitän nickte ihr kurz zu. »Buna seara.«
    Er war klein und thronte auf seinem Sitz wie ein Zwergenkönig. Der Radar
schickte sein fluoreszierendes Licht in die Nacht und tauchte das wenige, das
Judith erkennen konnte, in einen grünlichen Schimmer.
    »Kaffee?« Der Kapitän deutete mit dem Zeigefinger nach vorne. »Gutes
Wetter, gute Fahrt.«
    In der Ferne blinkten einige Lichter auf. Kaiserley setzte das Fernglas
wieder an und beobachtete die Küste. Der kleine Kapitän reichte ihr einen
Becher, aus dem er bis eben offenbar selbst getrunken hatte. Judith konnte den
Inhalt nicht sehen und kippte ihn einfach hinunter. Lauwarmer Nescafe. Absolut
in Ordnung.
    »Wo legen Sie an?«, fragte sie.
    »Wo Sie wollen.«
    »Sassnitz, wenn es geht.«
     
    Sie musste so schnell wie möglich zu ihrem Transporter. Hoffentlich stand
er noch vor dem Friedhof, sonst müsste sie Kaiserley um Geld bitten. Der kleine
Mann nickte. Er bewegte den Joystick, und die Motoren brüllten auf. Das Schiff
bewegte sich noch schneller durchs Wasser.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte Kaiserley.
    »Bestens. Darf ich?«
    Sie deutete auf das Zigarettenpäckchen des Kapitäns. Der nickte. Sie
wankte vor die Tür und rauchte draußen. Die Lichter kamen näher. Vielleicht
noch eine halbe Stunde, und sie war Kaiserley endlich los.
    Sie war am Ende des Weges. Sie

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