Herrmann, Elisabeth
Kepler?«
Die Frau, die bis eben in ihren Jim Beam gestarrt hatte, ruckte mit dem
Kopf nach oben.
»Nein, der Name sagt mir gar nichts.«
»Sie hat Mitte der achtziger Jahre hier gearbeitet. Als Gästebetreuerin.«
»Das war vor meiner Zeit.«
Man hatte ihr gesagt, dass sie mit diesem Satz auf solche Fragen
reagieren sollte. Das Thema DDR-Vergangenheit und die Rolle, die das Rügen
Hotel auf dem Transit gespielt hatte, passten nicht zu Seemannsliedern und Du hast
mein Herz entführt.
»Gabi. Dreißig Jahre. Dienstjubiläum. Rechnen Sie doch mal zurück.«
»Mitte der Achtziger?«
Sie wendete sich ab und arrangierte die Weinflaschen. »Ja, stimmt. Das
waren Zeiten. Im Sommer haben sie unten am Strand gezeltet und Rockkonzerte
gegeben. Ich war selber mal bei einem dabei. Dirk Zöllner, Feeling B und Herbst
in Peking.« Sie kicherte. »Ich war mal eine ganz Kecke. Hab viel >andere
Bands< gehört. Und die Zöllner. In den Dirk war ich mal bis über beide Ohren
verliebt.«
Viel mehr zu arrangieren gab es nicht. Sie beäugte die Anordnung der
Flaschen und schob dann die Schublade zu. »Er aber nicht in mich. Leider.«
»Sie müssen sich an sie erinnern. Sie kam aus Sassnitz und hat in der
Bachstraße gewohnt.«
»Eine aus der Bachstraße? Wie sah sie denn aus?«
»Mittelgroß, dunkle, lockige Haare.«
Seine Frau oder Freundin oder Zufallsbekanntschaft oder Unfallbeteiligte
hatte den Whiskey gekippt wie Wasser und hielt ihr wortlos das leere Glas hin.
»Medizinisch gesehen reicht das«, sagte Weingärtner zu ihr.
»Aber nicht psychisch.«
Ihre Stimme klang klar. Die Jukebox spielte mittlerweile Te quiero
- Das mit dir darf nie zu Ende gehen. Gabi nahm das
Glas, stellte es in die Spülmaschine und holte ein neues aus dem Regal.
»Da war mal eine aus der Bachstraße, ja. Aber die war blond. Meistens. Die
hatte eine Perücke, aber einmal ist die verrutscht, und da habe ich gesehen,
dass sie eigentlich braune Haare gehabt hat. Meinen Sie die?«
Sie legte jetzt einen Dreifachen nach und hoffte, dass ihr die Frau danach
nicht von der Bank kippen würde.
»Mit wem hatte sie Kontakt?«
»Das ist doch alles so lange her. Die Mädchen kamen, weil sie sich eine
Wrangler Jeans im Intershop kaufen wollten. Oder ein bisschen Jacobs Kaffee.
Und vielleicht hat die eine oder andere auch gehofft, hier jemanden
kennenzulernen, der sie heiratet und rausholt.«
»Marianne Kepler auch?«
Gabi griff zu der Flasche mit dem Sanddornlikör und hielt sie hoch.
Weingärtner nickte ihr aufmunternd zu, das hieß, sie war eingeladen. Sie
schenkte sich ein Schnapsglas ein. Zum Feierabend.
»Die war nicht so eine. Die hat das nicht wegen dem Geld gemacht.
Zumindest nicht für das, was die Kerle ihr gegeben haben. Ab und zu kam einer
hier vorbei, ich glaube, das war ihr Führungsoffizier.«
»Wie hieß er?«
»Das wollen Sie doch nicht wirklich wissen. Die sind hier doch nie mit
Klarnamen abgestiegen. Stanz hieß er. Hubert Stanz. Ich weiß noch, dass dieser
Name zu ihm gepasst hat. Er sah aus wie einer, der auf der Post die Zacken in
die Marken schneidet. Zum Wohl.«
Weingärtner stieß mit ihr an. Seine Was-auch-immer hob belustigt die
Augenbrauen, als ob sie das alles hier irgendwie amüsieren würde. Vielleicht
war sie verrückt. Oder sturzbetrunken, obwohl sie immer noch nüchtern wie ein
Stock wirkte.
Gabi trank den Likör und spürte, wie sie sich nach einem langen Tag
entspannte. Svenja huschte herein.
»Zwei Sambucco.«
Gabi nickte und suchte die Flasche aus dem Regal heraus. »Einer aus
Schwerin?«, fragte er.
»Ist anzunehmen. Ich glaube, sie hat ihm eine Menge Informationen
geliefert. Sie war beliebt bei den Gästen. Und sie hat Umsatz gemacht. Es blieb
auch für uns eine Menge hängen, wenn die Männer in Stimmung waren. Heute sehe
ich das natürlich anders. Aber damals hat man für ein paar Kronen oder Mark
noch nicht mal gewagt, ans Fragen zu denken. Es war doch klar: Alle Frauen vor
diesem Tresen haben für die Stasi gearbeitet. «
»Skäl«, sagte die Frau. »Ich kotze gleich.«
»Aber nicht hier!« Gabis Stimme verschärfte sich. »Möchten Sie vielleicht
mal frische Luft schnappen?«
Statt einer Antwort hob die Frau ihr leeres Glas. Weingärtner nahm es ihr
aus der Hand und stellte es zur Seite. »Das reicht jetzt«, sagte er leise, und
sein Unterton verriet, dass er nicht den Alkohol meinte. Er wandte sich wieder
an Gabi. »Was ist mit ihr passiert?«
Gabi warf eine Kaffeebohne in jedes Schnapsglas und
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