Herrmann, Elisabeth
Restaurant saßen noch
die letzten Gäste. Kerzen standen auf den Tischen und verbreiteten ein
romantisches Licht. Ein Mann hielt die Hand einer Frau. Er sagte ihr etwas, sie
lächelte ihn an und hob ihr Glas. Judith hörte Schritte hinter sich und wusste
nicht, was sie zum Abschied sagen sollte.
»Die Bar hat noch auf«, sagte Kaiserley.
Gabi Jensen polierte das Glas, hielt es gegen das Licht und stellte es
dann auf einem Hängeregal über dem Tresen ab. Aus der Jukebox klang leise Du hast
mein Herz entführt. Sie blickte auf
die Wanduhr, die entfernt an ein Steuerrad erinnerte und die der Bar ebenso wie
all der andere seemännische Schnickschnack ein maritimes Flair verleihen
sollte. Gleich halb eins. Wenn keine neuen Gäste kämen, könnte sie pünktlich
schließen.
Svenja, die Kellnerin, kam herein und spießte einen Bon auf den Nagel
neben der Kasse.
»Noch ein Bier«, sagte sie und ging wieder.
Gabi holte das Glas wieder herunter und stellte es unter den Zapfhahn.
Während der Schaum in der Tulpe nach oben stieg, bemerkte sie das Paar, das
gerade durch die Drehtür in die Lobby des Hotels trat. Ein gutaussehender Mann
in einem Leinenanzug mit nassen Hosenbeinen und eine Frau, Mitte dreißig vielleicht,
die einen leicht desorientierten Eindruck machte. Beide sahen aus, als hätten
sie gerade einen Bootsunfall hinter sich oder etwas ähnlich Schockierendes. Sie
hielten sich nicht an der Rezeption auf, sondern steuerten direkt auf die
Glastür zu. Der Mann hielt sie der Frau auf, die hindurchschlüpfte und auf ihn
wartete, damit er wieder die Führung übernahm. Etwas an ihm kam ihr bekannt
vor.
»Guten Abend.«
Das Bier lief über, hastig ließ sie den Zapfhahn los. »Herr Weingärtner?«
Die Frau verzog unwillig das Gesicht, aber Gabi hatte sich schon lange
abgewöhnt, auf die Reaktion der weiblichen Gäste gesteigerten Wert zu legen. Am
Ende zahlten die Männer und gaben das Trinkgeld. Sie strahlte den späten Gast
fröhlich an.
»Dass Sie mal wieder bei uns vorbeischauen! Ich hätte Sie fast nicht
erkannt.«
Weingärtner zog die Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne.
»Und dass Sie sich noch an mich erinnern. Wie geht es Ihnen? Gabi, nicht
wahr?«
Sie lächelte, glücklich, dass auch er sie nicht vergessen hatte. Seine
Begleiterin stieg hoch zur Bank neben dem Tresen und rutschte bis in die Ecke,
als ob sie nicht gesehen werden wollte.
»Ich hoffe, wir bekommen noch etwas zu trinken bei Ihnen.«
»Sie immer, Herr Weingärtner. Sie immer. Das Erlauer Stierblut führen wir
leider nicht mehr. Aber ich habe einen guten Bordeaux da.«
Er nickte. Sie zog die Schublade auf, in der die offenen Rotweinflaschen
standen, und holte eine heraus. Dann wandte sie sich an die Frau.
»Für Sie auch?«
Etwas stimmte mit ihren Augen nicht. Das ganze Gesicht sah aus, als wäre
sie in eine Schlägerei geraten. Gabi war versucht, ihr einen Eisbeutel
anzubieten. Sie kannte diese Verletzungen. Doch die Frauen, die sie
davontrugen, sahen meistens anders aus. Nicht so ... stolz.
»Alles ab vierzig Prozent aufwärts.«
Gabi nickte. »Unser Sanddornlikör ist...«
»Ich will keinen Likör. Ich will Whiskey.«
Gabi warf einen unsicheren Blick auf Weingärtner. Er nickte. Gut. Wenn sie
das so wollte und er es bezahlte ... Sie goss den Wein ein, zapfte das Bier
weiter und stellte der Frau schließlich ein gut eingeschenktes Glas Jim Beam
hin.
»Eis?«, fragte sie.
Die Frau schüttelte den Kopf und kippte den Whiskey in einem Zug hinunter.
»Noch einen«, sagte sie.
Weingärtner setzte sich neben sie. Svenja kam herein und holte das Pils
ab.
»Wie lange arbeiten Sie eigentlich schon hier?«, fragte er.
»Dreißig Jahre. Im Herbst hab ich Jubiläum.«
Sie hielt den Tumbler gegen die Öffnung des Flaschenportionierers und
drückte ihn mehrmals nach oben, bis die gewünschte Füllmenge erreicht war.
»Wo sind denn die Damen heute Abend? Sie haben doch nicht schon
Feierabend?«
Gabi stellte das Glas vor der Frau ab. Sie wunderte sich, dass Weingärtner
das Thema Prostitution in ihrem Beisein anschnitt.
»Karin und Anita sind auf dem Zimmer. Die anderen haben es aufgegeben. Die
Konkurrenz ist groß. Jetzt kommen die ganzen Mädchen aus Estland und Polen.
Sehr jung sind sie, sehr jung.«
Gabi seufzte. Sie sah ihre eigene, füllige Silhouette in der Spiegelung
der Glastür.
»Und billig. Also preiswert. Aber Sie haben doch keinen Bedarf, oder?«
»Nein. Danke. Erinnern Sie sich noch an Marianne
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