Herrmann, Elisabeth
glücklich und zufrieden alt
werden, schlage ich Ihnen Folgendes vor: Sie fahren nach Berlin. Sie stellen
sich, man wird Sie vernehmen, und wenn Sie klug sind, erwähnen Sie uns mit
keinem Wort. Unsere Verbindungen sind erstklassig und enden nicht an der Landesgrenze.
Die Kollegen in Malmö stehen schon Gewehr bei Fuß, um Ihnen zu helfen. Vergessen
Sie den BND. Vergessen Sie Kaiserley. Ihnen wird nichts geschehen, denn Sie
stehen unter unserem Schutz.«
»Unter... Ihrem Schutz?«
»Unserem. Der Gesellschaft für solidarische und humanistische
Unterstützung. Wir sind, falls es Sie beruhigt, als gemeinnützig anerkannt.«
Judiths Finger spielten nervös mit dem Medikamentenstreifen. Am liebsten
hätte sie sofort eine Tablette genommen. Aber sie wusste, wie Rohypnol wirkte.
Sie wäre innerhalb von zwei Minuten nicht einmal mehr in der Lage, ihren Namen
zu buchstabieren.
»Gemeinnützig«, wiederholte sie. »Wer hat das denn durchgewunken?«
»Ich glaube nicht, dass diese Frage wirklich an erster Stelle Ihrer
Prioritätenliste steht. Frau Kepler, sind wir uns einig?«
»Was wird dann geschehen? Wenn das alles so glattgeht, wie Sie sich das
denken.«
»Jemand wird mit Ihnen in Verbindung treten.«
»Wann?«
»Sobald wir wissen, dass Sie sich an unsere Vereinbarung gehalten haben.
Nun?«
Judith nickte. »Was Ihren Altersruhesitz angeht - ich habe kein Problem
damit, die Welt mit diesem Wissen zu verschonen. Aber ich will jederzeit zu
Frau Jonas.«
»Nur über ...«, Matthes lächelte, bevor er den Satz vollendete, »mein
Büro. Nach vorheriger Anmeldung. Eine Gagarin, nicht wahr?«
»Ja«, sagte sie tonlos. Eine Kosmonautin im All.
Matthes stand auf und wartete, bis Judith sich ebenfalls hochgerappelt
hatte. Das Klappern eines Geschirrwagens näherte sich, eine junge Frau in
adrettem dunklem Kostüm bog um die Ecke und arretierte den Wagen vor dem
Büffet. Auf dem Weg zum Aufzug sprach er weiter, genauso locker und unverbindlich,
als hätten sie sich durch Zufall beim Frühstück in einem Hotelrestaurant
getroffen und redeten über das Wetter.
»Das mit Lenin wissen nicht viele. Vielleicht ist es auch besser so.
Sassnitz orientiert sich neu. Man will zurück zum Kaiserbad und zu flatternden
Wimpeln. Aber bitte ohne Ideologie.«
»Was ist denn aus ihm geworden?«
Vielleicht war es ja eine dieser Statuen, die bis zur Wende auf jedem
Dorfplatz gestanden hatten.
»Keiner weiß es. Die Einzigen, die sich vielleicht noch damit auskennen,
sind alle organisiert.«
»In Ihrer Gesellschaft zur Rettung des ehrenden Andenkens?«
»Nein.« Matthes drückte auf den Fahrstuhlknopf. Die Türen glitten
auseinander, und Kaiserley kam heraus. Er nickte Matthes zu, stutzte aber, als
er bemerkte, dass Judith den Mann offenbar kannte.
»Im Modelleisenbahnverein.«
Die Türen schlossen sich. Judith wandte sich an Kaiserley. »Könnten Sie
bitte wiederholen, was dieser Herr eben gesagt hat?«
»Im Modelleisenbahnverein.«
»Danke.«
»Ein Hobby von Ihnen?«
Kaiserley spähte in den Frühstücksraum, sah das halb abgeräumte Büffet
und zuckte resigniert mit den Schultern. »Noch nicht«, sagte Judith.
Sie standen vor dem Rondell und warteten auf Kaiserleys Taxi. Sein Auto
hatte er in Mukran irgendwo auf einem der riesigen Parkplätze gelassen. Die
Sorge, er könnte es nicht mehr finden, ließ ihn nervös mit den Schlüsseln
spielen. Judith hatte ihm gerade erklärt, dass sie mit dem Transporter zurück
nach Berlin fahren wollte.
»Das kommt gar nicht in Frage«, sagte er in einem Ton, als wäre er beim
Bund und sie eine kriegsversehrte Veteranin. »Sie können ja noch nicht mal eine
Kaffeetasse halten.«
»Ich fahre.«
»Sie wissen doch immer noch nicht, wo oben und unten ist. Ich nehme Sie
mit, und Sie bleiben nach Ihrer Zeugenaussage bei der Polizei erst mal drei
Tage im Bett.«
Zeugenaussage. Interessant, wie Kaiserley die Fahndung nach ihr
interpretierte.
»Und tschüss.«
Judith marschierte los, kam aber genau drei Schritte weit, dann hatte
Kaiserley sie eingeholt und stellte sich ihr in den Weg. Wütend wollte sie an
ihm vorbei.
»Ich weiß genau, wann ich fahrtauglich bin und wann nicht. Also lassen Sie
mich jetzt mein Zeug erledigen oder nicht?«
»Das ist erledigt, Judith. Mehr gibt es nicht. Überlassen Sie den Rest den
Profis.«
»Dann bin ich erledigt. Falls
Sie sich damit meinen. Wo immer Sie auftauchen, kann man nur noch in Deckung
gehen.«
»Wenn Sie das wenigstens ein Mal getan
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