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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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schenkte sich selbst
noch einen Sanddornlikör ein. Der ging aufs Haus.
    »Mir hat man gesagt, Alkohol und Tabletten. Das hat es manchmal gegeben.
Über Selbstmord wurde in der DDR nicht viel geredet. Sie war weg, von einem Tag
auf den anderen.«
    »Und Stanz?«
    »Komisch, jetzt wo Sie es sagen.«
    Svenja kam wieder, stellte die beiden Sambuccogläser auf ein Tablett. Mit
einem Feuerzeug zündete sie den Alkohol an. »Tisch zwei will die Rechnung.«
    »Sofort. Noch einen ...?«
    Überrascht sah Gabi zu der Frau neben Weingärtner. Sie hatte das leere
Whiskeyglas wieder in der Hand, aber sie lehnte mit geschlossenen Augen und
leicht geöffnetem Mund wie schlafend an der Wand. Gabi beugte sich zu dem
späten Gast über den Tresen, so weit es ihr Busen und der Anstand, den der Ausblick
auf denselben gebot, gestatteten.
    »Stanz kam nie wieder«, flüsterte sie.
    Die Frau rutschte die Wand entlang und landete mit dem Kopf an
Weingärtners Schulter.
    »Machen Sie mir die Rechnung«, sagte er. »Danke.«
    Gabi trat an die Kasse. »Brauchen Sie ein Zimmer?«
    Weingärtner nickte vorsichtig. »Sieht ganz so aus.«
    Als die beiden gegangen waren und Svenja die Schürze ausgezogen und sich
verabschiedet hatte, schloss Gabi die Bar ab.
    Marianne Kepler. Es war so lange her, wahrscheinlich würde die Nummer gar
nicht mehr stimmen. Sie hatte sie nie notiert, weil die Zahlen allein schon
verräterisch genug gewesen wären. Aber sie hatte sie im Kopf, bis heute.
    Sie trat ans Telefon, hob den Hörer ab und wählte. Und zu ihrem größten
Erstaunen wurde abgehoben.
     
    *
     
    Das Meer reichte bis zum Horizont, und die Morgensonne spiegelte sich auf
den Wellen und blendete in den Augen. Dort, wo der Himmel begann, schmiegte
sich ein zarter Schleier an die Wasseroberfläche. Judith blinzelte. Sie konnte
nicht erkennen, ob es schon Schweden war oder nur die Krümmung der Erde.
    Sie saß im achtzehnten Stock im Panorama Restaurant und hielt eine Tasse
Kaffee vorsichtig in ihren verletzten Händen. Kaiserley telefonierte noch. Dazu
war er nach unten an die Rezeption gegangen. Er wollte herausfinden, was gegen
sie vorlag in Berlin. Vielleicht hat Dombrowski ja seinen Scheißwagen als
gestohlen gemeldet, dachte sie. Er soll sich mal nicht so anstellen. Ist nicht
das erste Mal, dass ihn sich einer für ein verlängertes Wochenende ausleiht.
    Vor ihr stand ein Teller mit Brötchen und Rührei. Langsam führte sie eine
Gabel zum Mund. Sie musste essen. Bis zum Mittag wäre sie wieder in Berlin.
Sie versuchte sich an die Einsatzpläne dieser Woche zu erinnern. Frühschicht,
Krankenhaus. Sie konnte sich Zeit lassen, denn sie würde mit viel Glück gerade
zum Feierabend ankommen. Die Bilder der letzten Tage tauchten wieder auf, und
sie schob sie mit aller Macht zur Seite. Doch die Gabel in ihrer Hand begann zu
zittern, das Rührei fiel auf den Teller. Los, zwang sie sich. Noch mal von
vorn.
    Weit unter ihr lag der alte Hafen. Die Rampen hatte man umgebaut, sie
führten jetzt nicht mehr zu den größten Fähren, sondern zu einem Museum.
Spaziergänger flanierten am Ufer entlang. Judith reckte den Hals und spähte
nach rechts, aber die Baumwipfel versperrten die Sicht auf die alte Fischfabrik
und das, was ein Stück weiter verborgen lag. Es war kurz vor zehn. Junge Frauen
mit weißen Schürzen begannen, das Büffet abzuräumen.
    Sie stand auf und schnorrte sich bei einem verliebten Pärchen eine
Zigarette. Damit ging sie auf den Balkon. Der Wind war kalt und zerrte an ihren
Haaren. Sie hatte lange geduscht und sich anschließend endlich einmal wieder
richtig gekämmt. Obwohl ihr Kopf und ihre Hände immer noch schmerzten, hatte
der Alkohol sie so betäubt, dass sie ein paar Stunden Schlaf gefunden hatte.
Wieder mit Kaiserley in einem Zimmer. Als sie aufgewacht war, war sein Bett
leer gewesen. Er hatte den Morgen mit vierzig Minuten Kraulen im Pool begonnen.
Toll. Sie fühlte sich grauenhaft, aber immerhin wieder unter den Lebenden. Er war
genau in dem Moment zurück ins Zimmer gekommen, als sie es verlassen wollte.
Ausgeruht, erfrischt, mit nassen Haaren und einem Duft nach Wasser und Chlor.
Nur ein Telefonat, hatte er gesagt. Nicht vom Handy, nicht vom Zimmertelefon.
Unten, aus der öffentlichen Fernsprechzelle.
    Gab es so etwas überhaupt noch? Wahrscheinlich nur in Sassnitz, wo die
Zeit stehengeblieben zu sein schien, irgendwo zwischen Aufbruch und
Resignation.
    Jemand trat durch die geöffnete Schiebetür auf den Balkon. Sie drehte

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