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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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hätten!«
    »Sie hätten mich ja nicht in dem Wagen sitzen lassen müssen.«
    Sie überquerte das Rondell und lief hinunter zur Straße. Kaiserley folgte
ihr. Der Verkehr war so dicht, dass sie wohl oder übel an der Fußgängerampel
auf Grün warten musste.
    »Es ist nicht alles verloren. Sofie versucht gerade, alles Wissenswerte
über Irene und Christina Sonnenberg in Malmö herauszufinden. Vielleicht hilft
uns das weiter.«
    »Uns. Ja klar.« Sie hämmerte mit der Faust auf den Signalknopf.
Unfassbare Ampelschaltungen hatten sie hier.
    »Ich bin im ADAC. Ich kann mein Auto abschleppen lassen. Dann nehmen wir
Ihren Transporter.«
    Im ADAC. Als ob das jetzt eine Beruhigung wäre. Endlich, Grün. Er lief
hinter ihr her.
    »Sie haben viel mitgemacht in den letzten Tagen. Ich möchte Sie so nicht
allein lassen.«
    »Es geht schon«, sagte sie, mühsam beherrscht. »Danke. Auf Wiedersehen.«
    »Es wird eine Weile dauern, bis Sie das alles verarbeitet haben. «
    »Ist es jetzt gut?« Sie fuhr herum und funkelte ihn wütend an. »Wissen Sie
eigentlich, wie sehr Sie mir auf den Geist gehen?«
    »Ich will doch nur ...«
    »Es ist mir scheißegal, was Sie wollen! Jetzt geht es endlich mal so
weiter, wie ich das will! Lassen Sie mich in Ruhe! Verschwinden Sie! Und
danke. Danke, dass Sie mir den Trip nach Malmö geschenkt haben. Es waren
bleibende Eindrücke. Aber jetzt komme ich alleine zurecht.«
    »Judith!«
    »Verschwinden Sie! Es geht um mich, ja? Um mich! Und nicht um irgendwelche
Scheiß-Interessen! Dieses Scheiß-Land hat meine Eltern getötet und mich fast
dazu! Und jetzt fragen Sie mich nicht, welches von den beiden ich meine.
Verstanden? Hauen Sie endlich ab!«
    Musste man ihn eigentlich an den Haaren aus dem Weg zerren? Sie wollte
endlich allein sein. Kaiserley, Matthes, Winkler, Sofie und der geheimnisvolle
Unbekannte, der sich melden wollte, wenn sie jetzt keinen Mist baute ... alles
Fremde hinter Masken, die ein Spiel spielten, in dem Menschenleben nebensächlich
waren. Es ging um die Interessen des Landes. Wenn es etwas gab, was sie
Kaiserley nie verzeihen würde, dann diesen einen Satz.
    Er sah sie an. Er spürte genau, was sie gerade dachte. Seine Augen wurden
eine Spur dunkler. Das war es, was sie beide dazu gebracht hatte, an dieser
Straße zu stehen und sich zu hassen. Er verachtete den Mann, der er einmal
gewesen war. Und Judith verachtete den, der er in diesem Moment war und der er
für alle Ewigkeit bleiben würde. Sie würde ihm nicht helfen, sich besser zu
fühlen. Sie war nicht Kaiserleys Erlösung. Sie musste sich selbst retten.
    Ein Taxi hielt und wartete darauf, dass die Fußgängerampel wieder auf Rot
sprang. Es hatte den Blinker gesetzt und wollte offenbar zum Rügen Hotel.
Kaiserley winkte dem Fahrer zu.
    »Ich bringe Sie wenigstens zu Ihrem Wagen.«
    »Verschwinden Sie«, sagte Judith. »Hauen Sie ab aus meinem Leben und
kommen Sie nie wieder.«
    Endlich hatte er verstanden. Er stieg ein. Das Taxi fuhr los. Judith
drehte sich um und lief, ohne zu schauen, wohin der Weg führte.
     
    *
     
    Jörg Optenheide und Gregor Wossilus waren beide fast gleichzeitig in den
Vorruhestand versetzt worden. Jörg, weil das Einwohnermeldeamt in Sassnitz
sich »verschlankte«. Gregor, weil die Redaktion des Rasenden
Rolands vom Bergener
Tageblatt aufgekauft und entgegen anderslautender
Versprechungen nicht in die Sonntagsbeilage überführt worden war. Da sie
sowieso nur aus ihm und seiner Frau, einer begeisterten Hobbyfotografin,
bestanden hatte, war diesem Affront kein Aufschrei des Journalistenverbandes
gefolgt. Stattdessen kümmerte Karin sich jetzt endlich einmal um die Datsche,
und Gregor traf sich mit Jörg öfter mal unter der Woche im Dachgeschoss des
Bahnhofes von Sassnitz, um aus seinem Hobby eine Lebensaufgabe zu machen: die
vollständige Rekonstruktion der alten Verladeanlagen am Hafen im Maßstab 1:100 im Wandel der Zeit.
    Gregor, ein Mann mit sorgfältig gestutztem weißen Bart und einem
gemütlichen Bauchansatz, der im Sommer gerne Hemden mit Viertelärmeln und
Bermudashorts trug, Gregor also betrachtete gerade mit einer Lupe die
Baumgruppe, die Jörg tags zuvor mit Pattex neben die Schienen des Modells
geklebt hatte.
    »Das sind aber keine Buchen.«
    Jörg, ein schmaler Mann mit Halbglatze und einem gewaltigen Kassengestell
auf der Habichtsnase, legte den Zeigefinger ins »Amtliche Kursbuch westliches
Deutschland 1953 «, klappte es
zu und sah hoch.
    »Buchen sind alle.«
    Gregor schnaubte

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