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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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auf dem Geländer
liegen. Offenbar war Matthes durchgeknallter als seine Patienten.
    »Gute Frage«, sagte der Arzt. »Aber Sie waren nicht wegen Lenin bei Frau
Jonas. Sie wollen etwas anderes. Wenn Sie niemals, niemandem gegenüber etwas
über das Haus Waldfrieden erzählen, schenke ich Ihnen etwas dafür.«
    »Ihnen muss ja der Arsch auf Grundeis gehen.«
    »Mir nicht, Frau Kepler. Ich will nur, dass nicht plötzlich Horden wild
gewordener, pseudoinvestigativer Journalisten den hübschen Garten zertrampeln.
Aber für Ihren Allerwertesten wird es langsam eng.«
    Matthes sah sich kurz um. Sie waren immer noch völlig allein. Das
Servicepersonal hatte das halb abgeräumte Büffet im Stich gelassen und war
nirgendwo zu sehen. Er ging durch die Schiebetür in das Restaurant und
wartete, bis Judith ihm gefolgt war. An seinem veränderten Ton und der
Körpersprache merkte sie, dass er langsam die Geduld verlor.
    »Wie, eng? Wie meinen Sie das?«
    »Gegen Sie liegt eine Fahndung im Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt in
Berlin vor. In Sassnitz wird man Friedhöfe weiträumig absperren, sobald Sie im
Anmarsch sind. Und von dem, was in Malmö passiert ist, will ich gar nicht erst
anfangen. Sie scheinen eine Schneise der Verwüstung zu hinterlassen. Aber ...«
    »Was, Malmö? Ich habe keinen Schimmer, von was Sie reden.«
    Er trat an den Tisch, an dem gerade noch das Paar gesessen hatte. Im
Brotkorb lag ein Croissant. Er nahm es, betrachtete es interessiert und kam
dann damit zu ihr zurück.
    »Sie unterschätzen uns schon wieder. Aber Sie haben es trotzdem weit
gebracht. Gefährden Sie Ihren Erfolg nicht für einen billigen Triumph. Wir sind
nicht wichtig. Wir sind nur eine Station auf Ihrem Weg. Ihnen wird nichts
geschehen. Wenn Sie schweigen.«
    Judith setzte sich auf den nächstbesten Stuhl. Ihre Beine hatten wieder
angefangen zu zittern. Matthes sah das. Er betrachtete all die sichtbaren
Zeichen ihres Entzugs - die fahrigen Hände, die blasse Haut, die blinzelnden
Augen und der nicht enden wollende Tremor -, biss in das Croissant und kaute
nachdenklich darauf herum, bevor er in seine Anzugtasche griff und einen
Stanniolstreifen mit Pillen vor ihr auf den Tisch warf.
    »Rohypnol. Sie wollen doch runter von dem Zeug, oder? Geben Sie sich ein,
zwei Tage, dann sind sie durch. Für dieses Mal zumindest.«
    »Was ...« Judith griff nach den Tabletten. »Was wissen Sie eigentlich
nicht?«
    »Ob Sie lebend aus der ganzen Nummer herauskommen.«
    Matthes nahm einen Stuhl und zog ihn zu Judith heran. Während er sich
setzte, biss er wieder in das Croissant und ließ sie dabei nicht aus den Augen.
»Es liegt ganz bei Ihnen.«
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Halten Sie mir Kaiserley vom Hals. Er kennt Gott und die Welt. Ich habe
ihn bei der Westerhoff gesehen. Ich will nicht, dass die nächste Sendung unter
dem Motto >Seniorenpflege bei der Stasi< steht.«
    »Bei Ihnen sitzen doch mindestens tausend Jahre Zuchthaus. Welche
Pflegestufe rechnen Sie eigentlich ab? Rechnen Sie überhaupt irgendetwas ab?
Und bei wem?«
    »Genau diese Art von Fragen meine ich.«
    Matthes legte das halbe Croissant zurück und überprüfte seinen Anzug auf
Krümel.
    »Also? Sie brauchen keine Angst zu haben, Sie werden das Hotel auf
normalem Wege verlassen. Unsere Methoden sind andere. Wenn wir sie denn
anwenden müssen. Andererseits sollten Sie sich darüber im Klaren sein: Nur weil
ich Sie ein Mal, sagen wir, habe laufenlassen, würde ich es nicht unbedingt ein
zweites Mal tun.«
    »Dann kann ich ja jetzt gehen.«
    Sie wollte aufstehen, aber Matthes packte sie am Arm und zwang sie, sich
wieder zu setzen. Sie war zu schwach, um sich zu wehren.
    »Wenn Sie kooperieren, nenne ich Ihnen den Mann, der den Haftbefehl gegen
Ihre Eltern bei Gericht beantragt hat.«
    »Was soll ich denn mit dem?«
    »Er ist der Einzige, der befugt ist, Auskunft darüber zu geben, wie sich
die Aktion aus Sicht der Staatssicherheit in Sassnitz abgespielt hat. Sie
wollen doch wissen, wie Ihre Eltern starben. Oder?«
    »Ja«, sagte Judith tonlos. Die Aktion. »Nein. Doch. Weiß er, dass Sie ihn mir ausliefern?«
    »Er hat es selber vorgeschlagen.«
    Eine Alarmglocke begann in Judiths Hinterkopf zu schrillen. Sie war darauf
gepolt worden zu vergessen. Jede Erinnerung sorgfältig gelöscht. Und die
Erfahrungen der letzten Tage hatten gezeigt, dass keiner freiwillig mit ihr
redete.
    »Er will mich sehen? Das ist doch absurd. Jetzt?«
    »Demnächst. Und da wir alle wollen, dass wir

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