Herrmann, Elisabeth
reiht euch
ein!« gebrüllt hatte. Ganz abgesehen von »Hoch lebe die internationale Solidarität!«.
Einige von seinen Kombattanten waren richtig weit oben gelandet und taten nun
so, als ob sie noch nie in ihrem Leben einen Pflasterstein in der Hand gehabt
hätten. Einen hatte er ganz besonders gefressen. Der saß jetzt irgendwo in
Amerika, hatte eine Professur und das dritte oder vierte junge Weib und ließ es
sich mit seinem Minister-im-Ruhestand-Gehalt richtig gutgehen. So konnte man
die internationale Solidarität natürlich auch sehen. Penner.
Der Kriminalkommissar sah auf seine Armbanduhr.
»In zehn Minuten haben wir sie.« Er fixierte Dombrowski mit einem Blick,
der wohl einschüchternd wirken sollte. Aber da mussten schon ganz andere
kommen. Dombrowski lehnte sich zurück, verschränkte die Arme über seinem
beachtlichen Bauch und sehnte sich nach einem Zigarillo. Auf Lunge.
»Wenn nicht, können Sie sich schon mal fertigmachen, um mich aufs
Präsidium zu begleiten.«
»Ich darf aber noch meinen Anwalt anrufen.«
»So oft und wen Sie wollen.«
Maike deutete auf den Telefonapparat, Dombrowski überlegte. War Kepler
das wert? Und was bedeutete internationale Solidarität, wenn sie einen noch
nicht mal mit seinen eigenen Angestellten verband? Die Bullen konnten ihm
nichts, gar nichts. Er überlegte, ob er das letzte Tütchen Gras noch unten in
der Schublade gebunkert hatte oder ob er es an einem dieser wunderbar lauen
Hochsommerabende draußen mit Josef und Konsorten nach einem langen Tag
verkonsumiert hatte. Das Einzige, was er ab und zu noch rauchte. Wennschon.
Keine drei Gramm. Da hüstelte der Haftrichter noch nicht mal, da legte er
gleich auf.
Schnelle Schritte näherten sich vom Gang, Lachen, Rufe. Babylonisches
Sprachgewirr. Türkisch, Libanesisch, Vietnamesisch, Polnisch. Die
Krankenhausbrigade, viel zu früh. Der Korinthenkacker in ihm wollte aufbrausen,
der Buchhalter riet zur Mäßigung. Dombrowski sah auf den Kalender: Mittwoch.
Überstundenabbau, eine Stunde früher Schluss.
Ohne auf den Kommissar zu achten, stand er auf und stürmte in den Gang, wo
eine schnatternde Putzkolonne gerade in der Auflösung begriffen war. Ganz
hinten entdeckte er eine lange Gestalt.
»Josef!«, brüllte er.
Der Mann drehte sich um. Dombrowski hörte, dass der Bulle ihm gefolgt war.
»Wo ist Kepler? Habt ihr sie an der U-Bahn abgesetzt?«
Josef riss überrascht die Augen auf. Er kam näher. Das Geschnatter
verstummte. Die Frauen in ihren blauen Kitteln verschwanden hinaus ins Freie.
»Kepler?«, fragte Josef. »An der U-Bahn?«
Wie viel Blödheit ertrug eigentlich ein einzelner Mensch? Dombrowski
machte ihm ein Zeichen, aber Josef kapierte nicht. Hinter ihm tauchte dieser
Bengel auf, dem er Judiths Karte überlassen hatte. Na sauber. Der konnte erst
recht nicht eins und eins zusammenzählen.
»Der Herr Kriminalkommissar möchte gerne mit ihr reden.«
Dombrowski betonte die Berufsbezeichnung so, dass sogar Schimpansen
bemerkt hätten, dass etwas nicht stimmte. Nicht aber Josef. Der bekam einen
roten Kopf und drehte sich zu seinem Häftling um.
»Kai? Die Kepler!«
»Draußen auf dem Hof. Ich glaube, sie wollte grade los.« Der Bulle ließ
sie stehen und rannte den Blaukitteln hinterher. »Schnauze!«, zischte
Dombrowski. »Her mit der Karte!«
»Ich hab sie nicht mehr.«
»Was?«, brüllte Dombrowski. Der Junge zuckte zurück. »Ihr sagt nichts.
Verstanden? Und ihr habt sie nicht gesehen.«
»Aber...«
»Ihr lasst mich das machen. Klar?«
Josef und Kai nickten, wechselten allerdings einen Blick, der verdammt
nach »Irren widerspricht man nicht« aussah. Dombrowski verkniff sich jeden
weiteren Kommentar und folgte Maike auf den Hof, um zu retten, was zu retten
war.
Judith öffnete die Hintertüren des Transporters und verzog angewidert die
Nase. Irgendetwas hier drinnen stank bestialisch. Verwesende Ratten?
Schmutzige, feuchte Putzlappen? Sie war an Gerüche gewöhnt, aber nur da, wo sie
auch hingehörten. Hier drinnen hatte es allenfalls nach Desinfektionsmitteln zu
riechen. Sie wollte gerade auf die Pritsche steigen und nachsehen, als sie
Schritte hörte und angesprochen wurde. »Frau Kepler?«
Judith fuhr herum. Vor ihr stand ein schlanker, im landläufigen Sinne
halbwegs gutaussehender Mann und hielt ihr einen Ausweis unter die Nase.
»Maike, Mordkommission.«
»Da kann ja jeder kommen.«
Sie schnappte sich den Ausweis, las den Namen und gab ihn mit kaum
verhohlener Schadenfreude
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