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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Dorthin. Eine hohe Tür aus Holz. Verrostete
Scharniere. Alte Lampen, die gespenstische Schatten an die hohen Wände warfen.
Und mittendrin ein Palast aus Gold und Samt. Und dann?
    Der Schmerz schoss in ihr Hirn wie ein Bolzenschuss. Sie krümmte sich
zusammen und presste sich die DVD vor den Bauch. Ein älteres Ehepaar mit
Reisetasche sah besorgt zu ihr hinüber, kam aber nicht näher. Judith biss die
Zähne zusammen und atmete tief durch. Ganz langsam gelang es ihr, sich aufzurichten.
Meine Güte. Was war das denn? Als ob ein Teil ihres Gehirns mit Starkstrom
versiegelt war. Wie Weidezäune, die das Vieh daran hinderten, die abgesteckten
Wiesen zu verlassen.
    Sie stolperte in die kleine Bahnhofshalle, nahm im Zeitungsshop eine
eisgekühlte Flasche Wasser aus dem Regal und schlich, ohne zu zahlen, an der
Kasse vorbei. Unterwegs zum Friedhof öffnete sie sie, trank gierig und
schüttete sich den Rest über den Kopf. Langsam begann sie, wieder klar zu
denken. Der Transporter stand noch da. Erleichtert tastete sie nach dem
kleinen Kasten hinter der Stoßstange und fand den Ersatzschlüssel. Als sie den
Wagen aufschloss, stieg ihr ein betäubender Geruch aus modernden, feuchten
Wischlappen und anderen undefinierbaren Ingredienzien in die Nase. Sie
kurbelte die Fenster herunter, fuhr los und suchte sich erst hinter Stralsund
einen Parkplatz, um auf die Pritsche zu klettern und Borgs Untersuchungsbericht
zu holen. Und die Dietriche, um in ihre Wohnung zu kommen. Sie stopfte alles in
eine alte Arbeitstasche. Als sie Richtung Stralsund weiterfuhr, überlegte sie
einen Moment lang, wie das wohl wäre: jetzt einen anderen Namen haben, einen
Ausweis, Kreditkarten. Gleich weiter über Usedom nach Swinoujscie und dann
runter über Breslau und Prag nach Wien. Und noch weiter. Immer weiter. So
weit, bis man nicht mehr ans Umkehren dachte.
    Dann fiel ihr ein, was sie Kaiserley über das Reisen gesagt hatte. Es
stimmte alles, nur in einem Punkt hatte sie gelogen: Sie hätte doch ganz gerne
mal den Eiffelturm gesehen.
     
    *
     
    Franz Ferdinand Maike kehrte mit einem Becher in der Hand vom
Kaffeeautomaten im Flur zurück in sein Büro. Das Telefon klingelte, und Maike
nahm das Gespräch an, ohne die Tasse abzustellen. Am Apparat war ein
vernuschelter Herr, der nach Holger Ehrmann, Bundesministerium des Inneren,
klang und wissen wollte, ob er bei Maike an der richtigen Stelle wäre. »Für
was, bitte?«
    »Supplementary
Information Request at the National Entry, kurz SIRENE.«
    Sein Englisch war perfekt. Maike stellte die Tasse ab.
    »Warum meldet sich das BKA da nicht direkt bei mir?«
    »Flagsetzung im Schengener Informationssystem. Fragen Sie nicht mich.«
    »Wen denn sonst? Um was geht es eigentlich?«
    Eine Flagsetzung war eine heikle Sache. Es war die Blockierung einer vom
Ausland eingeleiteten Fahndung, weil schwerwiegende rechtliche Hindernisse in
Deutschland dagegen bestanden. Maike, seit über zehn Jahren in der
Mordkommission, hatte das bisher noch nicht erlebt. Das ging eher in Richtung
internationaler Terrorismus, Zoll und Bundesgrenzschutz.
    »Sie bearbeiten, soweit ich weiß, den Fall Christina Borg. In diesem
Zusammenhang gibt es eine Tatverdächtige. Ihr Name ist Judith Kepler.«
    Maike fragte sich, welche Behörde eigentlich noch nicht von Judith Kepler
gehört hatte. Die Frau war auf eine Weise omnipräsent, dass es langsam
unheimlich wurde. Er setzte sich und verscheuchte den Bildschirmschoner seines
Computers.
    »Haben Sie sie mittlerweile?« Ehrmann wechselte den Ton von freundlich zu
autoritär. Was Maike gar nicht mochte. »Wissen Sie, wo Sie sich aufhält?«
    »Ich bin leider nicht befugt, Ihnen Auskünfte über den Ermittlungsstand
zu erteilen.«
    »Dann antworte ich einfach mal für Sie: Nein, Sie haben sie nicht. Und Sie
haben sich auch nicht darum bemüht. Mittlerweile liegt ein internationaler
Haftbefehl gegen sie vor. Die Rikspolisen hat uns darüber vor einer guten
halben Stunde informiert. Warum wissen Sie das nicht?«
    Maike spürte eine kribbelnde Nervosität. Ja, warum
nicht? Er sah auf den Monitor. Das Fach mit
den Eilmeldungen blinkte dunkelrot. Scheiße.
    »Flagsetzung bedeutet, dass selbst bei Zugriff keine Auslieferung
erfolgt?«, fragte er. So hatte er das zumindest mal auf der Polizeihochschule
gelernt.
    »Exakt.«
    »Und weshalb wird Kepler von der schwedischen Reichspolizei gesucht?«
    Ehrmann seufzte, weil er offenbar erst seine Brille aufsetzen und dann auf
seinen Computer oder den

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