Herrmann, Elisabeth
Eilantrag sehen musste. »Mord.«
Maike schwieg. Judith Kepler war eine von vielen Personen, die im Fall
Christina Borg überprüft worden waren. Er erinnerte sich an einen verbiestert
wirkenden Hausmeister, Fricke, und eine völlig desinteressierte Nachbarin,
deren Hund beinahe auf seine Schuhe gepinkelt hätte. In der Kneipe Zum
Klabautermann hatte Borg öfter gesessen und sich dabei einmal mit einem Gast
angelegt. Sie hatte Kontakt zu Quirin Kaiserley gesucht wegen angeblichen
Mikrofilmen mit hochgeheimem Inhalt. Klabautermann und Mikrofilme passten überhaupt
nicht zusammen, aber Letzteres war wenigstens ein Ansatzpunkt. Die Vorladung
von Kaiserley zu einer offiziellen Befragung lag bereits im Ausgangsfach.
Aber Judith Kepler war eine Putzfrau. Es war unüblich, dass so viele
Stellen sich für jemand wie sie interessierten und dass Material von München
bis Schwerin angefordert wurde. Nun lagen mit einem Mal schwere
Verdachtsmomente gegen sie vor. Schweden erwartete sogar eine Auslieferung, und
irgendjemand ganz weit oben hatte dem gerade einen Riegel vorgeschoben. Schön, dachte Maike, dass ich auch mal davon erfahre.
»Mord«, wiederholte er. »Aber wie kommt die Rikspolisen dazu, im Fall Borg
zu ermitteln?«
»Weil Kepler nach der Tochter offenbar auch die Mutter getötet hat. Irene
Borg wurde gestern Nacht in ihrer Wohnung in Malmö tot aufgefunden. Es gibt
einen Zeugen. Und der beschreibt ziemlich gut, wie der letzte Gast der Toten
ausgesehen hat.«
Maike klickte auf das blinkende Symbol. Eine interne Mitteilung öffnete
sich und bestätigte, was Ehrmann ihm gerade erzählt hatte.
»Und weshalb dann keine Auslieferung?«
»Fragen Sie den Innenminister.« Ehrmann legte auf.
Genau das würde Maike nicht tun. Aber die Kollegen in Malmö. Und dann war
Kepler dran.
Klaus Dombrowski kannte sie alle. Die Braven, die höflich fragten, ob sie
ihm eine Minute seiner kostbaren Zeit stehlen durften. Die Forschen, die sich
gar nicht erst damit aufhielten, sondern gleich zur Sache kamen. Und die
Desinteressierten, die einfach nur so taten, als ob sie eine Pflicht erfüllen
würden, an deren Existenz sie schon lange aufgehört hatten zu glauben.
Maike war neu. Denn er war alles zusammen: höflich, forsch und dennoch
nicht ganz bei der Sache. So, als ob er über den Stand seiner eigenen
Ermittlungen nicht ganz auf dem Laufenden wäre.
»Sie sagen also, Judith Kepler hat die vergangenen zwei Tage Berlin nicht
verlassen und war an ihrem Arbeitsplatz. Warum haben Sie uns das nicht
gemeldet?«
»Keine Ahnung«, brummte Dombrowski. »Weil ich kein Denunziant bin?«
In seinem Hirn arbeitete es fieberhaft. Was zum Teufel war mit Judith los?
Er kannte sie seit zwei Jahren. Nie hatte es auch nur die Spur einer
Auffälligkeit gegeben. Im Gegenteil: Sie war eine seiner zuverlässigsten
Mitarbeiterinnen. Sie schien begriffen zu haben, dass sie die letzte Ausfahrt
auf der Autobahn nach Nirgendwo erwischt hatte. Er hatte sogar erwogen, sie demnächst
zur Kolonnenführerin zu machen. Doch seit drei Tagen hatte er das Gefühl,
Judith Kepler war eine Fremde.
Eine Frau, nach der die Kripo, ehemalige BND-Agenten und Weiß-der-Teufel-wer-noch-alles
suchten. Und er natürlich. Schließlich war er ihr Chef.
»Ich habe über dreihundert Mitarbeiter. Die einen fangen um fünf Uhr
morgens an, die anderen hören um diese Uhrzeit auf. Da kann es schon mal
vorkommen, dass ich nicht jedem Einzelnen die Hand schüttele.«
»Ich ermittle in einem Mord. Vielleicht sensibilisiert Sie das ein wenig
für meine, Ihre und nicht zuletzt Keplers Lage? Wo ist sie?«
Dombrowski schnaufte und wandte sich an seinen Computer.
»Sankt Gertrauden. Frühschicht.«
»Bis wann?«
»Halb drei. 14.30 Uhr
mitteleuropäische Sommerzeit.«
Der Kriminalkommissar griff zu seinem Handy und wählte eine Nummer. Er gab
das Krankenhaus durch und legte wieder auf.
»Na dann schauen wir mal. Sie hätten sich viel Ärger ersparen können,
wenn Sie uns das schon früher gesagt hätten.«
»Habe ich doch.«
»Wem?«
»Na, Ihren Kollegen. Die haben mir hier doch die Bude eingerannt.«
Das gefiel dem Herrn Kriminalkommissar nun gar nicht.
»Kollegen?«, fragte er. »Haben Sie einen Namen?«
»Merk ich mir nicht. Nur bei meinen eigenen Festnahmen.«
Dombrowski erinnerte sich an Hausbesetzungen und Demonstrationen und an
die Zeit, in der er Arm in Arm mit Männern und Frauen durch die Straßen
marschiert war und »Leute lasst das Glotzen sein! Kommt herunter,
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