Herrmann, Elisabeth
zurück.
»Franz Ferdinand. Wer immer sich das ausgedacht hat ...«
»Wo waren Sie heute?«
»Im Sankt Gertrauden-Krankenhaus.«
»Beruflich oder privat?«
Er musterte den kaum verheilten Schnitt und die blauen Flecken in ihrem
Gesicht.
»Ich habe gearbeitet. Meterwischen nennt man das. Nur abgeräumte Flächen
und die Fußböden in den Krankenzimmern.«
»Und das da?« Er wies auf ihr Jochbein.
»Ein Fensterbrett. Beim Bücken.«
»Zeugen?«
»Dafür?«
Sie holte die Stechkarte aus ihrer Kitteltasche und wies mit einer
Kopfbewegung auf Josef und Kai, die gerade hinter Dombrowski aus der Baracke
getrottet kamen.
»Wir prüfen das«, sagte Maike. »Wie kommt es, dass Sie gleichzeitig in
Berlin und Malmö arbeiten?«
»Malmö?«, wiederholte Judith verdutzt.
»Sie wurden in der Nähe eines Tatorts gesehen, der anschließend
ausgesprochen fachmännisch gereinigt wurde.«
Sieh an, hatte Kaiserley also doch noch das eine oder andere verborgene
Talent. Josef kam näher, begutachtete die Pritsche und schnupperte.
»Was stinkt hier so?«
»Weiß ich doch nicht.«
Maike warf einen interessierten Blick in den Transporter, bevor er ein
paar Schritte zur Seite ging und mit jemandem telefonierte. Dombrowski
wanderte währenddessen einmal um das Auto herum, trat prüfend an die Reifen und
musterte die Kotflügel. Den abgerissenen Seitenspiegel quittierte er mit einem
Zischen, das Böses ahnen ließ. Die vordere Stoßstange schien ihn besonders zu
interessieren. Judith erinnerte sich an die rasende Fahrt über das Gelände der
alten Fischfabrik und das hässliche Geräusch, mit dem der Transporter die
Bordsteinkante geschleift hatte. Sie griff nach der Arbeitstasche, die auf dem
Beifahrersitz lag. Maike bemerkte es sofort. Er legte auf und kam zurück.
»Ich darf doch?«
Judith reichte ihm die Tasche. Er warf einen Blick hinein und gab sie ihr
dann wieder zurück. »Wo ist Ihr Handy?«
»Bei den Kollegen in Sassnitz.«
»Der Transporter ist beschlagnahmt. Wir müssen ihn untersuchen lassen.«
Dombrowski wurde hellhörig.
»Das geht gar nicht. Kepler muss morgen damit...«
»Kepler muss gar nichts«, antwortete Maike betont liebenswürdig. »Sie
wird jetzt bei uns eine Aussage mit der lückenlosen Aufzählung ihrer
Aktivitäten während der letzten achtundvierzig Stunden machen.«
»Ich würde mich aber vorher gerne noch duschen und umziehen.«
»Selbstverständlich.«
Judith nahm den Schlüssel und warf ihn in Richtung Dombrowski, der natürlich
nicht so schnell reagierte und ihn fallen ließ.
»Kannst du den Wagen wegfahren? Ich hab noch einen Termin. «
»Am besten dort hinten hin.« Maike wies auf den Platz neben den
Müllcontainern. »Da kann der Abschleppdienst besser ran.« Dombrowski schnaubte.
Mit einem vielsagenden Blick auf Maike eilte Judith in die Baracke. Hinter
ihrem Rücken hörte sie noch, wie Dombrowski nach Josef rief, aber der war schon
verschwunden. Sie blieb stehen und wartete, bis sie den Anlasser hörte. Sie
hatte vierzig, vielleicht sechzig Sekunden Zeit. Jetzt.
Judith verließ die Mordkommission zwei Stunden später. Es war so leicht
gewesen, so einfach. Im Grunde hatte sie nur erzählt, mit was sie den Tag
außerhalb der Arbeitszeit verbrachte: einkaufen, Wein trinken, Bücherkisten
sortieren, lesen.
»Was lesen Sie denn gerade?«
»Fraktionale Infinitesimalrechnung.«
»Was? Mathematik?«
»Physik.«
Maike schrieb es auf, und es war ihm dabei anzusehen, dass diese Aussage
nur eine von vielen war, deren Wahrheitsgehalt er anzweifelte.
»Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Haben Sie Christina Borg getötet?«
»Nein, natürlich nicht!«
»Und Irene Borg?«
»Wer ist das?«
Für eine Sekunde hatten ihre Nerven zu flattern begonnen. Es gibt Malmö
nicht, redete sie sich selbst gut zu. Du bist nie da gewesen. Sie wollen, dass
du schweigst. Dann wirst du beschützt. Von wem und vor wem auch immer.
Maike schien sich mit der Antwort zufriedenzugeben.
»Sie sind also nach Sassnitz, um den Grabstein Ihrer Mutter zu
zertrümmern, und anschließend sofort wieder zurück nach Berlin.«
»Ja.«
»Nur, damit ich Sie richtig verstehe: warum?«
Maike wurde nicht fürs Verstehen, sondern fürs Aufschreiben bezahlt.
Judith seufzte.
»Ein Mensch hört für mich nicht auf zu existieren, nur weil er tot ist.«
»Da sind Sie nicht allein. Das geht uns allen so. Aber deshalb ehren wir
das Andenken der Toten ja auch und zerstören es nicht.«
»Der Tod ist keine
Weitere Kostenlose Bücher