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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Generalabsolution.«
    »Er ist das Ende von Schuld und Sühne.«
    »Ja? Ist er das?«
    Maike sah sie scharf an. »Was hat Ihnen Marianne Kepler angetan?«
    »Schauen Sie in meine Heimakte. Dann wissen Sie es.«
    »Täte ich gerne. Es gibt sie nicht.«
    »Dann suchen Sie sie.«
    Aber bitte nicht in meiner Wohnung, dachte Judith. Sie hatte auf dem Weg
zu Dombrowski einen Zwischenstopp eingelegt und Borgs Untersuchungsbericht mit
der Akte in einem Bildband über die Toskana aus den sechziger Jahren
versteckt. Maike legte ihr das Protokoll zur Unterschrift vor und fügte es
anschließend in eine Mappe ein. Er gab ihr mit einem Zeichen zu verstehen, dass
sie fertig waren. Judith stand auf.
    »War es das?«
    »Vorerst. Sie dürfen die Stadt nicht verlassen und müssen sich uns zur
Verfügung halten.«
    »Selbstverständlich.«
    »Sie haben viele Freunde.«
    Sie wartete noch einen Moment, ob er diesen letzten Satz kommentieren
wollte, doch er tat es nicht. Sie hätte fragen können, wen er meinte. Aber es
war besser, ihn in dem Glauben zu lassen, sie wüsste über ihre angeblichen
Freunde genauso gut Bescheid wie er.
    Halb fünf. Sie nahm die nächste U-Bahn nach Marzahn und beschloss zu
warten. Sie hatte ihren Teil der Abmachung gehalten. Jetzt waren die anderen
dran.
     
    Das Protokoll wurde wenig später von Maike in den Computer übertragen. Von
dort aus schlug es verschiedene Wege ein. Zum einen gelangte es in das polizeiinterne
Informationssystem, PO-LIKS genannt, und alle Kollegen, die befugt waren, sich
mit diesem Fall zu befassen, konnten dort darauf Zugriff nehmen. Eine weitere
Datei gelangte direkt auf den Schreibtisch von Ehrmann im
Bundesinnenministerium, der sie wiederum an die zuständigen Stellen bei
Interpol und BKA weiterleitete. Die Flagsetzung im Schengener
Informationssystem schützte das Protokoll allerdings vor einer Verbreitung in
den Mitgliedsstaaten der EU, unter anderem auch Schweden. Ehrmann selbst
leitete es an die Stelle weiter, die die Flagsetzung angeordnet hatte.
    Es war das Büro des Schweriner Verfassungsschutzes.
    Eine weitere Kopie des Protokolls gelangte über den Trojaner, den Teetee
in das POLIKS geschickt und dort so gut wie unauffindbar hinter einer gefakten
Eilmeldung versteckt hatte, beinahe zeitgleich auf sein Toughbook. Gemeinsam
mit der geblockten Fahndung nach Judith Kepler im Zusammenhang mit dem Mord an
Irene Borg in Malmö erreichte es wenig später Kellermann in einem Meeting, in
dem es um die Organisation des Umzugs nach Berlin und die Frage ging, ob die
Kindertagesstätte des BND neben einem Hort auch noch eine Krabbelgruppe bekommen
sollte.
     
    *
     
    Let
I Shy cry
    Under
the light
    Let
I Cry sight
    A
child at night... Judith stand auf dem Balkon und
sah auf einen helltürkisvioletten Himmel, der sich gerade die Sterne anlegte
wie eine Grande Dame ihre Perlen. Es war die Stunde nach Sonnenuntergang, noch
nicht ganz dunkel, schon längst nicht mehr hell. Träge und müde nach einem
heißen Sommertag glitt die Stadt in die kurze Ruhe vor der Nacht.
    Die Schmerzen kamen wieder. Sie betrachtete die Wunden an ihren
Handinnenflächen und fühlte sich gekreuzigt. Ihr Körper war geschunden von den
Anstrengungen der letzten Tage. Ihr Geist aber hatte durch Schmerz und
Schlafentzug eine Klarheit erlangt, die sie in einen fast schwerelosen Zustand
versetzte.
    Ich,
Judith Kepler.
    Ich hatte
eine Mutter und einen Vater. Und ich paktiere mit dem Teufel, um
herauszufinden, wer euch getötet hat.
    Die Lichter in den Wohnungen gingen an. Drüben, auf der anderen Seite der
Autobahn, hängte jemand Gardinen im achten Stock eines violetten Hauses auf.
Judith kniff die Augen zusammen, um das kleine, leuchtende Viereck besser
erkennen zu können. Eine Frau. Bevor sie den Vorhang zuzog, trat jemand von
hinten an sie heran und nahm sie in die Arme.
    Judith wandte sich ab, ging in ihr Schlafzimmer, legte sich aufs Bett und
fixierte den Vollmond. Wenn sie die Augen schloss, war es der gleiche Mond wie
damals, und sein matter Schein warf ein riesiges Kreuz auf den Fußboden, genau
über ihr Herz. Juri Gagarin lächelte ihr zu, ihr, der Kosmonautin, die in der
Finsternis nach einem verlorenen Planeten suchte, um dort endlich ihre Flagge
zu setzen.
    Am nächsten Morgen rief sie Josef an und meldete sich krank. Sie ließ
sämtliche Rollläden hinunter, nahm die letzten zwei Rohypnol und verschlief den
Tag. Sie wachte erst auf, als die Türklingel sie aus ihrem komaähnlichen Schlaf
holte. Verwirrt

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