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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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einer verächtlichen Kopfbewegung zum Bücherregal. Aber
Kaiserley ließ sich nicht auf ihr Ablenkungsmanöver ein.
    »Ich kenne den Mann. Ich habe lange darüber nachdenken müssen, bis ich
darauf gekommen bin, dass ich ihn schon einmal gesehen habe.«
    »Wo denn? Am Frühstücksbuffet?«
    »In Sassnitz. Am Bahnhof. Vor fünfundzwanzig Jahren.«
     
    Angelina Espinoza saß in einem Straßencafe am Leopoldplatz. Abends zeigte
die Stadt ihr zweites Gesicht: ausgelassen, fröhlich, fast südländisch. Sie
konnte eintauchen und sich mitziehen lassen von den schönen Geschöpfen, die die
Lichter der Bars und Restaurants umflatterten wie eine seltene Spezies von
Nachtfaltern: bunt, schillernd, tänzelnd und balzend. Sie hatte ihre
Sonnenbrille in die dunklen Haare geschoben und beobachtete das Leben wie
einen Film von Fellini.
    Manchmal hatte sie Sehnsucht nach dem Bleiben. Doch das Gefühl ging
schnell vorüber, wenn sie die Jugend in den Gesichtern der Mädchen sah, ihre
unendliche Erwartung an das Leben, und wenn sie feststellte, wie wenige Frauen
ihres Alters ihre Versprechen eingelöst hatten.
    Die Leuchtdiode, die den Stand-by-Betrieb ihres Handys anzeigte,
flackerte. Das sah nach einer gewaltigen Datenmenge aus. Ein Livestream.
    Angelina folgte dem angegebenen Pfad und sah auf dem winzig kleinen
Bildschirm eine Wohnung, in der zwei Menschen auf dem Fußboden saßen, Kaffee
tranken und sich unterhielten. Die Frau sagte ihr gar nichts. Den Mann hätte
sie, obwohl er mit dem Rücken zur Kamera saß, unter Millionen wiedererkannt.
Sie setzte ihren Bluetooth-Ohrhörer ein - ein entsetzlich unelegantes Gerät,
das aber über die beste derzeit erhältliche Technik verfügte - und stieg in
das Gespräch ein. Der Mann schien wütend und besorgt zugleich zu sein. Sieh an.
Hatte der alte Wolf etwa noch einmal sein Herz verloren? Sie lächelte amüsiert.
Doch der nächste Satz des Mannes ließ dieses Lächeln gefrieren.
    »Sein Arbeitsname war Stanz, Hubert Stanz. Verhörspezialist der Stasi in
Schwerin.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte die Frau.
    »Von ... Was will Stanz von Ihnen? Oder sollte ich ihn Dr. Matthes
nennen?«
    Angelinas Hand begann zu zittern. Sie sah sich vorsichtig um, aber die
Menschen an den Nebentischen waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
    Sie unterbrach den Livestream. Die Gedanken rasten in ihrem Kopf, sie
stolperten übereinander und schnitten sich gegenseitig ab. Die Dinge
beschleunigten sich. Die Situation geriet außer Kontrolle. Sie überlegte, was
sie tun sollte, und wählte schließlich eine Nummer. Jemand hob ab und meldete
sich.
    »Oh«, sagte sie freundlich, »das tut mir wirklich sehr leid. Und so spät
am Abend. Ich habe mich verwählt. Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört.«
    Sie legte auf und sah so lange auf das Display und die zuletzt gewählte
Nummer, bis das Licht langsam ausging. Und genauso langsam stahl sich ein
Lächeln zurück in ihr Gesicht.
    Kellermann kam aus der Dusche, das Frotteetuch um die kräftigen Hüften
geschlungen, und ging in den Flur. Eva stand da und sah ihn an. Er wollte nach
seinem Handy greifen und sah erst dann, dass sie es in der Hand hielt.
    »Hat jemand angerufen?« Es war sein Diensthandy und somit tabu für sie.
Das Display leuchtete noch.
    »Nein.«
    Sie legte es zurück in die Muranoglasschale und zog den Bindegürtel ihres
Bademantels enger um ihre Taille. »Ich wollte Mama kurz gute Nacht sagen.«
    Das tat sie jeden Abend.
    »Und warum nimmst du dann nicht dein eigenes?«
    »Es ist weg.«
    »Weg? Seit wann?«
    Ihr Blick wich aus. »Ich muss es beim Friseur liegengelassen haben. Heute
Nachmittag. Oder im Taxi. Ich weiß es nicht.« Sie strich sich mit einer
fahrigen Geste durch die Haare. »Ist das Bad frei?«
    »Ja«, sagte er und trat zur Seite, um sie durchzulassen. »Pass auf, es ist
nass.«
    »Das ist es immer, wenn du geduscht hast.« Sie schenkte ihm ein flüchtiges
Lächeln.
    »Eva?«
    »Ja?« Sie drehte sich noch einmal zu ihm um. Er wies auf das Aufladekabel,
das sich von der Steckdose neben der Garderobe hoch zur Ablage schlängelte.
»Dein Handy liegt hier.«
    Ungläubig kam sie näher. »Mein Gott, ja! Dann hatte ich es gar nicht mit!
So was ... Das fängt ja gut an, das Alter.«
    Sie nahm ihn so plötzlich in die Arme, dass er beinahe das Gleichgewicht
verlor.
    »Verlass mich nicht.«
    »Aber Evchen. Was denkst du denn für Sachen?« Sie schmiegte sich an ihn.
»Noch ein paar Jahre, und dann fängt das Leben an.«
    »Dir kann

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