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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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hin.«
    »Bitte«, flüsterte Irene Sonnenberg. »Bitte nicht.«
    Stanz ging voraus und öffnete die Zugtür, die auf die dunklen Nebengleise
führte.
    »Komm, Mädchen. Dein Papa wartet.«
    Zwei VoPos mit Maschinenpistolen begleiteten sie. Auf dieser Seite des
Zuges befanden sich die Gänge, keine Abteile. Der Schaffner sorgte dafür, dass
sich dort keine ungebetenen Zeugen herumtrieben. Niemand würde sehen, wie sie
Irene Sonnenberg und ihre Tochter abführten. Es waren keine dreißig Meter,
aber Stanz wusste, dass sie der Frau vorkommen würden wie die letzten Schritte
zum Schafott. Es hatte lange gedauert, bis er sich das Mitgefühl abtrainiert
hatte. Er hatte viele Verhöre geführt. Er war einer der Besten seines
Jahrgangs gewesen. Er wusste, wie man Menschen brach. Sie waren darin geschult
worden, nicht auf die Tränen zu achten, nicht auf die gestammelten
Erklärungsversuche, nicht auf Bitten und Flehen. Sie waren erfahren darin,
sogar die eigene innere Stimme zu ignorieren, die in seltenen Fällen leise
flüsterte, dass es genug sei.
    Sonnenberg verdiente die Todesstrafe. Auch wenn sie aussah wie ein Engel,
so trug sie doch das Verderben und den Verrat in sich und brachte Tausende von
Kundschaftern in unmittelbare Gefahr. Erstaunlicherweise rührte ihn das Kind.
Das Mädchen hatte die Hand der Mutter fest umklammert und stolperte über Gleise
und Steine. Einmal fiel ihm sein Stofftier aus der Hand. Stanz hob es auf, aber
Sonnenberg riss es ihm aus der Hand und gab es ihrer Tochter selbst wieder
zurück.
    Der Salonwagen war Roses Idee gewesen. Und wieder kam Stanz nicht umhin,
die Art und Weise zu bewundern, mit der sie die Aktion geplant und nichts dem
Zufall überlassen hatte. Stanz arbeitete nicht mit Einsatzquartieren, ein
solches Herangehen war für ihn neu. Als er den schweren Türöffner nach unten
drückte und den beiden den Vortritt ließ, war er froh, dass sie das alles nicht
im Bahnhof hinter sich bringen mussten.
    Das Kind sah sich staunend um. Der zerschlissene Samt und das fleckige
Messing verwandelten sich in seinen großen Augen in einen Palast.
    »Wo ist Lenin?«, fragte es.
    Der schwere, rote Vorhang bewegte sich. Eine Hand schob ihn zur Seite. Das
Kind drehte sich um und stieß einen Schrei aus. »Nein!«
    Sonnenberg wollte sich auf das Mädchen stürzen, aber Stanz riss sie
zurück.
    »Ruhig«, sagte er. Dabei schien die Situation gerade komplett aus dem
Ruder zu laufen. »Ganz ruhig.«
    »Lenin kommt gleich«, sagte Rose und zielte auf das Kind.
     
    Der Schweißer trank eine halbe Flasche Mineralwasser in einem Zug, setzte
sie ab und rülpste laut.
    »Kann ich jetzt mein Handy wiederhaben?«
    Teetee fluchte innerlich. Warum ging Kaiserley nicht ans Telefon?
    »Gleich.«
    Er griff in seine Hosentasche und holte noch einen Fünfziger heraus.
Scheiße. Keine Ahnung, wann er wieder zum Bankautomaten käme.
    »Ich kauf es dir ab. Ist sowieso von vorgestern.«
    »He!«
    Teetee warf den Schein auf einen Hügel Pflastersteine und sprintete davon.
Der Schweißer war in seiner Arbeitskleidung zu schwerfällig, um ihm zu folgen. Aber
er hörte ihn noch zwei Straßen weiter brüllen.
    Sein Festnetztelefon, sein Laptop, sein Handy - verwanzt. Jemand hatte
die ganze Zeit jeden einzelnen seiner Schritte mitverfolgt, jede Mail an
Kellermann mitgelesen. Und wenn das stimmte, was Teetee sich gerade
zusammenreimte, dann steckte auch Kellermann bis zum Hals in Schwierigkeiten.
    Er wählte dessen Nummer und hoffte inständig, dass er sie richtig
auswendig gelernt hatte.
    Kellermann ging wieder nicht ans Telefon. Plötzlich spürte Teetee, wie
seine Kehle eng wurde. Kaiserley hatte mit allem recht gehabt, und Teetee
verachtete sich, dass er ihm nicht geglaubt hatte. Geh ran, betete er. Geh
ran!
    Eine Hand packte ihn von hinten und riss ihn herum. Er starrte in das
wütende Gesicht eines kräftigen Mannes, hochrot angelaufen vor Hitze und Wut.
    »Handy«, grunzte er nur und packte Teetee mit seinen Händen am Kragen. Es
war der Schweißer, und hinter ihm tauchte sein Kumpel auf und krempelte sich
gerade vielsagend die Ärmel seines Karohemdes hoch.
    »Es ist ein Notfall«, ächzte Teetee. »Bitte! Ich brauche es!«
    Der Schweißer drückte ihn an die Wand. Teetee bekam keine Luft mehr. Das
Gerät entglitt seiner Hand und fiel auf den Boden.
    »Du willst Stress? Kannst du haben.«
    Er rammte ihm die Faust in den Magen. Teetee klappte zusammen wie ein
Taschenmesser. Er nahm einen metallischen

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