Herrmann, Elisabeth
Südschweden aufgehalten hat. Malmö.«
Er hörte einen gequälten Laut, der wie ein Stöhnen klang. Teetees
Besorgnis wandelte sich augenblicklich in Bestürzung. Kellermann entglitt
etwas. Der alte Krieger schien angeschlagen.
»Aber das wissen Sie ja bestimmt«, sagte Teetee und glaubte selber nicht,
was er sagte. Kellermann reagierte nicht. »Soll ich jemanden informieren?«
Nichts. »Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein.« Kellermanns Stimme klang wie grobes Sandpapier. »Teetee, tu mir
einen Gefallen und vergiss das alles, wenn du kannst.«
»Aye aye, Sir.«
Teetee fiel ein Stein vom Herzen. Offenbar war sein merkwürdiger Auftrag
hiermit beendet. Er stand unschlüssig da, das Handy am Ohr, und wartete darauf,
dass Kellermann als Erster die Verbindung unterbrach.
Kellermann legte auf ohne ein Wort des Abschieds. Teetee eilte zu seinem
Toughbook und begann alles zu löschen, was auch nur im Entferntesten mit den
Ereignissen der letzten Tage in Verbindung stand. Er schloss seine backdoors und pfiff die Trojaner zurück. Er legte falsche Spuren und verzweigte tracks und traces, bis er glaubte,
alles wieder im Griff zu haben. Erst dann bemerkte er seinen Irrtum. Es reichte
nicht. Es war sinnlos. Es gab nur eine Lösung.
Zum ersten Mal seit zwei Monaten freute sich Teetee über die Baustelle vor
seinem Haus. Bevor er hinunterging, schraubte er sein Toughbook auf und holte
die Festplatte heraus. Mit ihr in der Hand verließ er die Wohnung.
Die Straßenbahnweiche schien eine komplizierte Angelegenheit zu sein.
Gleich zwei Schweißer arbeiteten an der Verbindungsstelle, und der Lärm war
ohrenbetäubend, bis einer von beiden endlich aufsah und mitbekam, dass es
Teetee war, der wild gestikulierend und pfeifend an der Absperrung stand.
Teetee erklärte, was er von ihm wollte, und drückte ihm fünfzig Euro in die
Hand. Er durfte sogar im Abstand von etwas über einem Meter daneben stehen
bleiben, bis aus der Festplatte ein glühender kleiner Klumpen geworden war,
der mit zwei Hammerschlägen in die Stoßkante der Gleise getrieben wurde.
»Haben Sie ein Handy?«, fragte er den Schweißer. Der nickte und holte
einen kleinen Apparat aus seiner Brusttasche.
Judith starrte Merzig an, als würde sie am liebsten mit einem Insektizid
auf ihn losgehen. Der Stasileutnant schien ihre Abscheu nicht zu bemerken.
Oder er ignorierte sie einfach, weil er im Lauf seines Lebens gelernt hatte,
mit solchen Reaktionen umzugehen. Er blickte nachdenklich zu Kaiserley.
»Lindner arbeitete für die HV A. Mal in Bonn, mal in Hamburg, mal in
München. Er hat gute Arbeit geleistet. Hervorragend zum Teil. Aber ich mache
mir Vorwürfe, dass wir irgendetwas übersehen haben. Den Anfang. Den Moment,
wenn ein Mensch zum ersten Mal zweifelt an dem, was er tut.«
»Vielleicht hat er sich einfach nur im Spiegel angekotzt?«, fragte Judith.
»Wusste meine Mutter davon? Dass er andere Frauen gevögelt hat, um an
Informationen zu kommen?«
»Aber natürlich. Sie arbeitete ja auch für das MfS.«
»Beide?«, fragte Judith. »Ich dachte, sie ...«
Ein Handy brummte. Irritiert sah Judith zu Kaiserley. Der holte seinen
Apparat aus der Tasche, schaute auf das Display, zuckte mit den Schultern und
steckte es wieder weg. Merzig wartete, bis er sicher sein konnte, wieder die
uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller zu haben.
»Ich weiß nicht, ob Irene Sonnenberg im Detail informiert war. Eheleute
reden ja miteinander, auch wenn das eigentlich verboten war. Aber ich denke,
sie war eingeweiht. Letzten Endes könnte man vermuten, dass das der Grund war,
warum sie die DDR verlassen wollten.«
Judith sah auf ihre Hände. Sie erinnerte sich an das, was Kaiserley in
Malmö gesagt hatte. Dass man Eltern suchte und Ungeheuer fand. Ihr Vater, ein
Romeo. Ihre Mutter beim MfS. Die Flucht, erkauft mit Verrat.
»Viele Ehen sind daran zerbrochen«, sagte Merzig. »Die ewigen Lügen. Die
falschen Namen. Die Fragen, die nicht beantwortet werden. Habe ich recht, Herr
Kaiserley?«
Kaiserley schwieg.
»Eine Berufskrankheit, an der wohl alle Agenten leiden. Es braucht viel
Charakter, um mit so einem Menschen zu leben. Ihn zu lieben. Ihm zu vertrauen.
Die Familie ist die Sollbruchstelle.«
»Dein Vater war ein guter Mensch.«
Ruckartig hob Judith den Kopf. Sie funkelte Kaiserley wütend an. »Ach ja?
Woher willst du das wissen?«
»Ich habe ihn gekannt.«
»Du hast mit keinem Wort erwähnt, was er wirklich getan hat! Und meine
Mutter - eine Fotolaborantin! Da denke ich
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