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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Kellermann scharf. »Meinst du nicht eher dich?«
    Kellermann lief es eiskalt über den Rücken. »Was willst du damit
andeuten?«
    »Dass du jetzt entweder den Mund aufmachen oder nach Hause gehen und für
immer schweigen solltest. Ich kann dir nur helfen, wenn du ehrlich zu mir
bist.«
    Kellermann dachte an all die Jahre, in denen er Winkler gesagt hatte, wo
es langging. Der Leitwolf. Der Graue. Der Mann, der die Richtung vorgab. Ein
Heerführer, der sich nicht zu schade war, in vorderster Front durch den Dreck
zu waten. Vielleicht war es damit endgültig vorbei, und die Techniker, Strategen
und Analysten übernahmen das Kommando. Leute wie Winkler, die selbst in dieser
Hitze blütenweiße Hemden und Budapester Schuhe trugen. Kellermann erlebte einen
Moment vollständiger Klarheit: Seine Ära war Vergangenheit. Merkwürdig, dass
er das lange nicht hatte sehen wollen.
    »Kaiserley trifft sich gerade mit einem ehemaligen Generalleutnant des
MfS. Und meine Frau ist auf dem Weg dorthin.«
    »Dann hat sie ein aufregenderes Privatleben als wir.«
    Winkler zog die Schwarte wieder zu sich heran. Kellermann atmete tief
durch.
    »Ich vermute, sie macht eine Dummheit.«
    »Wenn es um Eheprobleme geht, bin ich der falsche Ansprechpartner. «
    »Es geht um ...« Kellermann fuhr sich durch die Haare. Winkler wartete.
    »Eva ist da in etwas hineingeraten, das sie nicht mehr überblicken kann.
Ich vermute, sie hat auf meinem Handy Dinge gefunden, die sie nie hätte finden
dürfen. Ich glaube, sie ist in Berlin, um zu verhindern, dass etwas aus ihrer
Vergangenheit ans Licht kommt.«
    »Was sollte das sein?«
    Merzig würde Kaiserley alles verraten. Die ganze Geschichte, in der ein
junges Mädchen vorkam, in das Kellermann einmal vor langer Zeit unsterblich
verliebt gewesen war. Das er haben wollte, um jeden Preis. Aber dieses junge
Mädchen wollte keinen doppelt so alten, zynischen, saufenden Sack. Es
verliebte sich in einen Schönling, der ihm die Sterne vom Himmel holte und es
auf Händen trug. Bis zu dem Tag, an dem er begann, eine Gegenleistung zu
verlangen...
    »Sie hat es nur ein Mal getan. Vor fünfundzwanzig Jahren hat sie einen
Lagebericht nach Ostberlin weitergegeben. Es ist doch schon verjährt. Man kann
ihr doch gar nichts mehr anhaben!«
    »Deine Frau?«
    »Damals war sie noch nicht meine Frau. Meine erste Ehe war gerade den Bach
runter. Sie war ein junges, unerfahrenes Ding. Als die Katastrophe in Sassnitz
passierte, hat sie sich mir anvertraut. Ich habe die Sache vertuscht. Ich habe
sie geheiratet.«
    Kellermann schützte das Mädchen und lieferte es nicht aus. Und das Mädchen
kam dafür zu ihm. Sie heirateten, und aus Eva Lange wurde Eva Kellermann. Sie
hatten gute Jahre gehabt, Eva und er. Irgendwann hatte er verdrängt, was sie
beide zusammengebracht hatte. Es hatte doch so gut funktioniert. Wenn die
Geister der Vergangenheit nicht zurückgekehrt wären.
    »Wenn Kaiserley erfährt, wer ihn damals ans Messer geliefert hat... und
Eva taucht dort auf...«
    »Eva hat Sassnitz verraten?«
    Kellermann nickte.
    »Eva? Dein Evchen? Bist du dir sicher?«
    »Leider ja.«
    Winklers Hand schnellte vor und drückte einen Knopf auf seiner
Telefonanlage. Er hob den Hörer ab und wartete, bis sich am anderen Ende jemand
meldete.
    »Ortung Stufe Rot. Handynummer?«
    Kellermann gab sie ihm. Winkler wartete, in der Zwischenzeit öffnete er
eine Suchmaske.
    »Wie heißt dieser Stasi-Mann?«
    »Merzig. Generalleutnant Horst Merzig. Berlin.«
    Winkler tippte. Gleichzeitig lauschte er auf das, was gerade aus dem Hörer
kam.
    »Danke«, sagte er knapp und legte auf. »Wir kommen zu spät. Eva ist bereits
bei Merzig eingetroffen.«
    Kellermann stöhnte auf. Er merkte, wie Winkler ihn mit einer Mischung aus
Mitgefühl und Bedauern musterte.
    »Ich alarmiere die Kollegen in Berlin. Wahrscheinlich wird alles ganz
harmlos enden. Sie werden sich aussprechen, und dann ist die Angelegenheit vom
Tisch. Für dich hat das aber Folgen, das ist dir doch klar.«
    Kellermann nickte und stand auf. »Danke. Sag mir sofort Bescheid, wenn du
was hörst.«
    Er war schon fast an der Tür.
    »Du hättest früher kommen sollen«, sagte Winkler.
    Kellermann fuhr zurück nach München und wunderte sich. Er hätte Wut
empfinden müssen. Zorn darüber, in welche Lage er geraten war. Doch alles, was
er fühlte, war grenzenlose Erleichterung. Sie würden Eva finden. Er bekäme ein
Disziplinarverfahren und würde in den Ruhestand geschickt werden. Ihr
Fehltritt war

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