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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Noch nicht. Judith erinnerte sich daran, wie Borg
von ihrer Mörderin durch die Wohnung gejagt worden war. Wie sie sie hatte
ausbluten lassen, genauso wie Kaiserley, der mit aschfahlem Gesicht halb
ohnmächtig auf die Couch geworfen worden war. Sie dachte an die Flecken und die
Scherben und das Wasser und die Buntbarsche und dass sie unter Schock stehen
musste, wenn die letzte Sorge ihres Lebens dem Saubermachen galt.
    Sie griff den glitschigen, zuckenden Leib eines sterbenden Fischs und
schleuderte ihn Espinoza ins Gesicht. Die Frau schrie auf und taumelte einen
Schritt zurück. Ekel verzerrte ihr Gesicht und lenkte sie für den kurzen Moment
ab, den Judith brauchte.
    Ihre Hand schnellte unter das Sofa. Sie griff die Pistole und hechtete aus
der Tür. Zwei Champagnerkorken knallten, etwas Putz rieselte von der Wand.
Gehetzt sah sie sich um. Die Wohnungstür war zu weit entfernt. Sie lief in
Merzigs Schlafzimmer und stellte sich hinter die geöffnete Tür. Sie versuchte
sich zu erinnern, wie groß Espinoza war. Dann legte sie den Lauf der Waffe in
der Höhe an die Tür, in der sie Espinozas Kopf vermutete, und wartete.
    Ihre Augen mussten sich an die Dunkelheit gewöhnen. Sie hörte das Klirren
von Glas und leise Schritte, die sich über den Flur näherten. Sie sah Merzigs
schmales Bett und das matte Linoleum auf dem Fußboden. Ein paar Urkunden und
alte Sportpokale, ein kleiner Stapel Bücher auf einem Regal über dem Bett. Ein
Foto auf dem Nachttisch in einem schmalen, billigen Rahmen. Auf dem
Digitalwecker leuchteten die Ziffern 21:04. Die Zeit, die auf ihrem Totenschein stehen würde. Die Schritte kamen
näher.
    »Renn!«, schrie Kaiserley. »Judith! Renn!«
    Sie hielt den Atem an. Im diffusen Halbdunkel spürte sie mehr, als dass
sie sah, wie ein Schatten durch den Türspalt ins Zimmer glitt. Sie drückte ab.
Ein ohrenbetäubender Knall zerriss ihr fast das Trommelfell, der Rückstoß
schleuderte sie an die Wand. Die Tür hatte ein Loch. Sie hörte, wie ein Körper
zu Boden fiel, aber sie wagte nicht, sich zu rühren. Dann sah sie, wie die Tür
sich langsam, ganz langsam öffnete.
     
    Kellermann legte die Waffe auf dem Waschtisch ab. Er drehte den Wasserhahn
zu und öffnete den Abfluss. Er wusste nicht, ob er sie bewegen durfte, aber
selbst wenn, es war aussichtslos, sie aus der Wanne zu hieven. »Eva! Eva! Mein
Gott!«
    Er hob sie hoch und drückte sie an sich, schüttelte sie, presste ihr
Gesicht an seine Brust. Er spürte die Wärme des Wassers, aber ihr Körper war
kalt. Eine unnatürliche Blässe überzog ihr Gesicht. Blaue Adern schimmerten
durch die dünne Haut an ihren Schläfen. Er legte die Hand auf die
Halsschlagader, aber er konnte nichts spüren. Er blinzelte, weil plötzlich
Wasser in seinen Augen stand und er ratlos war. Hilflos. Neben dem Waschtisch
war ein Telefon. Halbblind tastete er danach, beinahe rutschte der Hörer durch
seine nassen Hände ins Wasser. Er ließ sich mit der Rezeption verbinden und
meldete einen Notfall. Erst dann sah er den Zettel.
    Er lehnte am Spiegel.
    Ich kann
so nicht mehr weiterleben. Ich habe getötet, weil ich dich liebe. Verzeih mir.
Weil ich dir auch vergeben habe, was du mir angetan hast.
    Er begriff nicht. Er las den Zettel mehrmals durch, aber er verstand den
Sinn dieser Worte nicht. Er faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Tasche.
Dann hielt er Eva weiter fest und wartete auf den Arzt.
     
    Kaiserley griff den Kristallaschenbecher, der auf dem Boden neben Merzig
gelandet war. Eine andere Waffe hatte er nicht zur Verfügung. Sein Bein
schmerzte, und als er den großen dunklen Fleck auf dem Sofa sah, ahnte er das
Ausmaß des Blutverlusts, den er gerade erlitt. Er stand auf und versuchte, sein
linkes Bein so wenig wie möglich zu belasten.
    Das Wohnzimmer war im wahrsten Sinne des Wortes ein Scherbenhaufen. Er
wunderte sich, warum Nachbarn noch nicht die Polizei gerufen hatten. Dann
überschlug er, dass keine drei Minuten vergangen waren, seit Angelina hier
aufgetaucht war. Sie kamen ihm nur vor wie eine Ewigkeit. Die Sorge um Judith
ließ ihn fast wahnsinnig werden. Seit dem Schuss drang kein Laut mehr aus dem
Flur. Er hob den Ascher und humpelte zur Tür. Dann ließ er ihn sinken.
    Angelina Espinozas Körper lag in Merzigs Schlafzimmer. Sie rührte sich
nicht. Welche Waffe auch immer sie getötet hatte, von ihrem schönen Gesicht war
nur noch ein blutiger Klumpen übrig.
    »Judith?«
    Er stieg mühsam über Angelinas Leiche und betrat das Zimmer. Judith

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