Herrmann, Elisabeth
von
hier oben aus wie Spielzeug.
»In
Ordnung.«
Die
Fahrstuhltüren schlossen sich. Sie wartete, bis sie den Ruck der Kabine hörte,
die nun abwärtsfuhr, dann klinkte sie die Schlüssel an ihren Karabiner und
löste die Reste des amtlichen Asservatenstickers vom Türrahmen. Wollte sich
wappnen gegen das, was sie erwartete. Doch das hatte noch nie funktioniert.
Jedes Mal war es anders. So wie jeder Mord anders war und sich von allen
vorangegangenen unterschied.
*
Es beginnt
im Wohnzimmer. Der Sessel gegenüber der Couchgarnitur ist getränkt mit
schwarzem Blut. Eine ganze Weile muss die Frau darin gesessen haben,
schwerverletzt aus einer tiefen Wunde blutend, bevor es ihr gelingt
aufzuspringen. Ein letzter, vergeblicher Versuch, das Unvermeidliche doch noch
abzuwenden, denn sie kommt gerade noch bis zur Balkontür. Vielleicht will sie
hinaus, fliehen, springen. Fluchtimpulse sind irrational. Das getrocknete Blut
auf dem hellen Laminat ist verschmiert von nackten Fußsohlen und schweren
Schuhen. Er holt sie ein, reißt sie zurück und schleudert sie quer durch den
Raum an die Fensterfront.
Judith
fährt herum. Er muss wütend sein. Sehr wütend. Die Situation entgleitet ihm,
gerät außer Kontrolle. Er bekommt nicht, was er will, dabei hat er sie doch
fast schon gehabt. Er richtet die Waffe auf sein Opfer. Er zielt. Er drückt ab.
Ein Mal. Zwei Mal. Das Fenster hat ein Einschussloch. Die Wand zwischen
Fensterbank und Heizkörper auch. Er verfehlt sie. Spielt er mit ihr?
Borg fällt
auf den Boden. Kommt noch einmal hoch. Schleppt sich durch die Verbindungstür
ins Schlafzimmer. Streift mit dem verwundeten Leib den Rahmen und versucht, die
Tür zu schließen. Vergeblich. Er sprengt die Tür mit einem Tritt. Hebt die
Waffe. Schießt. Ein Mal. Zwei Mal. Schulter und Arm. Ausgefranste Blutflecke
auf der Tapete. Aber Borg lebt immer noch. Warum trifft er sie nicht tödlich?
Redet er mit ihr? Schreit er sie an? Sie rutscht die Wand hinunter, ein
breiter, rostroter Streifen folgt ihrer Bewegung. Sie gibt nicht auf. Kriecht
weiter. Er steht über ihr, die Waffe im Anschlag. Schlägt sie. Tritt nach ihr,
sie krümmt sich zusammen, wälzt sich über den billigen Chenilleteppich zum
Bett, instinktiv und panisch nach Schutz suchend, und er sieht ihr beim Sterben
zu, bis er die Waffe ein letztes Mal hebt.
Weiße
Kreidestriche markierten die Lage der Leiche zwischen Spiegeltürenschrank und
Doppelbett. Eine getrocknete Blutlache mit wolkigen Rändern dort, wo ihr Kopf
gelegen hatte. Judith ging in die Knie. Sie entdeckte den Schusskanal und die
Schrammen der Werkzeuge, mit denen die Beamten die Kugel aus dem Boden geholt
hatten. Die Krümel, die hier überall herumlagen, waren Reste der Gehirnmasse.
Borg war aus nächster Nähe erschossen worden.
Taumelnd
erhob sie sich und wankte zum Fenster. Sie riss es auf, lehnte sich hinaus und
sog die schwere, warme Luft in ihre Lungen. Etwas knirschte unter ihren Sohlen,
und sie hoffte, dass es keine Knochensplitter oder Teile des Gehörganges waren.
»Das ist
ein Job. Sonst nichts.«
Dombrowskis
Stimme klang ihr in den Ohren, als stünde er direkt neben ihr. Sie erinnerte
sich an Blut. Blut überall. Ströme von Blut, knietief und schwappend, in der
Wanne, an den Kacheln, auf dem Fußboden.
»Geht
verdammt schwer weg, das Zeug.«
Sie waren
zu viert gewesen. Einer nach dem anderen hatte den Raum verlassen. Schließlich
war sie als Einzige übrig geblieben. Am Nachmittag tauchte Dombrowski wieder
auf und sah sich das Ergebnis an. Ein strahlend weißes Badezimmer mit schwarzen
Fugen.
»Die sind
porös, Mädel, an die geht kein Mensch mit Scheuersand. Was vernichtet
Eiweißverbindungen?«
»Wasserstoffperoxyd
in fünfprozentiger Lösung oder Chlorbleichlauge.«
»Und warum
nimmst du kein Chlor?«
»Weil es
alle ist.«
Er brummte
ärgerlich. »Wo sind die anderen?«
Sie zuckte
mit den Schultern. Dombrowski sah sich in dem Ausbildungszimmer um, in dem er
am Morgen mit einer nicht unerheblichen Freude am theatralischen Effekt
eimerweise Schweineblut verteilt hatte. Hier stellte er sie auf die Probe. Hier
zeigte sich, wer das Zeug zum Desinfektor, Schädlingsbekämpfer oder
Tatortreiniger hatte. Der Raum sah aus wie neu. Bis auf die Fugen.
»Konnten
kein Blut sehen, was?«
Das war,
bevor Dombrowski seine Bypässe bekommen hatte. Er bot ihr eine Filterlose an.
Sie nahm die Schutzbrille ab. Dann setzten sie sich nebeneinander auf den
Badewannenrand und rauchten eine
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