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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Das erleichterte die Sache um ein Vielfaches.
    »Zigarettenschmuggel«,
antwortete er, weil das so harmlos klang und sich die Mitglieder der
verschiedenen Triaden in schöner Regelmäßigkeit gegenseitig dezimierten. »Hier
wohnen viele Vietnamesen.«
    Sie setzte
die Gasmaske auf. Nicht gut. Dann richtete sie das Ventil direkt auf sein
Gesicht. Gar nicht gut. Ihre Stimme klang gedämpft durch das Visier, war aber
deshalb nicht weniger unangenehm.
    »Vielleicht
haben Sie das Namensschild gelesen, bevor Sie hier eingebrochen sind. Das
klingt genauso vietnamesisch wie Ihr Märchen von der Hausverwaltung. Wer sind
Sie?«
    Jetzt
hatte er sogar seinen Arbeitsnamen vergessen, unter dem er sich Zugang
verschafft hatte. Günther Leibrecht? Gerd Schultze? Er hatte sich unter so
vielen verschiedenen Identitäten in so viele Häuser geschmuggelt, dass er
ausgerechnet in diesem Augenblick einfach den Überblick verlor. Als er das
erste Mal in der Wohnung gewesen war, hatte er einen Ausweis der privaten
Wachtruppe dabeigehabt, die in diesem Viertel patrouillierte. »Hände hoch!
Name!«
    Sie
schossen pfeilschnell in die Höhe. In letzter Sekunde erinnerte er sich.
    »Karsten
Drillich.«
    »Waren Sie
das?«
    Sie
deutete mit dem Ventil auf die Blutspuren im Sessel.
    »Nein!« Er
versuchte, so kooperativ und harmlos auszusehen, wie das in dieser Situation
nur möglich war.
    »Aber Sie
haben es mit diesem Ding da aufgenommen.«
    »Ich baue
das nur ab. Da müssen Sie meinen Chef fragen. Warten Sie.«
    Er wollte
in die Hosentasche greifen, um seinen fingierten Ausweis herauszuholen, da
zischte schon wieder Gas aus dem Ventil. Seine Augen begannen zu tränen. Er
röchelte und rang nach Luft.
    »Rüber an
die Wand. Los!«
    Er stieg
herab und stolperte mit erhobenen Händen zurück.
    »Hören
Sie, das ist ein Missverständnis. Ich habe mit der Sache hier nichts zu tun.«
    Sie
tastete ihn ab und fand die abgebauten Kameras und die zusammengerollten
Drähte. Mit einem verächtlichen Schnauben ließ sie sie zurück in seine
ausgebeulten Hosentaschen fallen. Als Nächstes fielen ihr die Autoschlüssel
und die Ausweise in die Hände. Zur Krönung auch noch die gefaltete Karte aus
feinstem Bütten, in der die Keycard für die Hotelsuite steckte. Sie schob die
Maske hoch und studierte die Personenangaben mit großem Interesse.
    »Die
Sache, ja. Erklären Sie mir die mal, Herr ... Karsten, Michael, Tobias oder
Oliver?«
    Entsetzt
starrte er sie an. Er hatte die Namen verwechselt. Oliver Mayr war er im Hotel
de Rome. Als Karsten Drillich hatte er den Telefonanschluss eines Fahrers der
Bundestagsflotte manipuliert. Als Michael Scheller hatte er dieses Haus betreten.
Aber im Moment fühlte er sich einfach nur wie Tobias Täschner - beschissen. Der
letzte Ausweis war seine Zugangsberechtigung zur »Bundesvermögensverwaltung
München«. Der Hausausweis des BND.
    »Ich rufe
jetzt die Polizei. Vielleicht ist ja eine Belohnung auf Sie ausgesetzt.«
    Teetee war
als Techniker nie im Nahkampf ausgebildet worden. Er wog seine Chancen ab, sie
mit einem gezielten Schlag auszuschalten, bevor das Gas ihn schachmatt setzen
konnte, und kam auf sechzig zu vierzig. Er wirbelte herum, hob das Bein und
traf sie mit einer Mischung aus Fliehkraft und Muskeltonus. Sie wurde
zurückgeschleudert, die Ausweiskarten und der Schlüsselbund flogen durch die
Luft, die Maske verrutschte, das Ventil zischte, und sie stürzte hinterrücks
über den Couchtisch. Die Flasche fiel aufs Glas, das mit ohrenbetäubendem Krach
zersplitterte. Der Schlauch begann ein verrücktes Eigenleben, weißes Gas schoss
aus dem Ventil und verbreitete sich in der Luft. Teetee hielt den Atem an,
schnappte sich die Autoschlüssel und hechtete zum Ausgang. Er raste in den
Etagenflur, erreichte die Tür neben dem Fahrstuhl und rannte hinaus ins
Treppenhaus.
    In größter
Hast enterte er sein Auto. Er startete und fuhr mit achtzig Sachen um die
nächste Ecke. Erst als er den Autobahnzubringer erreichte und sich mehrfach
durch einen Blick in den Rückspiegel versichert hatte, dass ihm niemand folgte,
begann sein Gehirn wieder in einfachen Schritten zu denken.
    Handy.
Glücklicherweise hatte er es in die Vordertasche seines Hemds gesteckt. Er
holte es heraus und wählte eine Nummer. Mach schon, betete er. Geh ran. Endlich hörte er Kellermanns Stimme. Teetee holte
tief Luft. Wunderbare, abgasverseuchte, dreckige Luft.
    »Chef«,
sagte er, »wir haben ein Problem.«
    Judith
richtete sich stöhnend auf.

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