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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Vorsichtig betastete sie ihr Gesicht und stieß
einen kleinen Schmerzenslaut aus. Sie befreite sich aus dem Holzrahmen des
Tisches, in dem sie gelandet war, und stolperte ins Bad.
    Ein
Glassplitter hatte ihre Wange gestreift. Die Wunde war nicht tief, blutete aber
heftig. Da kein Papier mehr in der Nähe war, wusch sie sie nur vorsichtig aus.
Die Unterlippe sah auch nicht gut aus und begann gerade anzuschwellen. Die Gasflasche
hatte sie am Kiefer gestreift, was einem mittleren Kinnhaken gleichkam und sie
für die wenigen, kostbaren Momente schachmatt gesetzt hatte, in denen diesem
Dreckskerl die Flucht gelungen war.
    Judith
kehrte zurück ins Wohnzimmer. Noch immer strömte Sauerstoff aus dem Ventil. Sie
klappte es zu und öffnete das Fenster, damit das Gas entweichen konnte. So
ungefährlich es war, in hohen Konzentrationen bestand Explosionsgefahr. Dann
sammelte sie die Ausweise ein, die im Raum verstreut herumlagen. Karsten
Michael Oliver Arschloch. Die Wut brannte fast ein Loch in ihren Bauch. Es war
unverzeihlich, dass sie sich von einem Mann, den sie zuvor so in die Defensive
gedrängt hatte, übertölpeln ließ. Das war Level eins, absolutes Anfängerniveau.
    Ein
Tropfen Blut fiel auf den Boden, genau auf die Kriechspur, die Borg auf ihrer
Flucht vor dem sicheren Tod hinterlassen hatte. Judith verrieb ihn mit dem
Fuß.
    Sie hob
die Flasche auf und legte sich den Gurt über die Schulter. Das schwarze Auge
der Kamera schien ihren Bewegungen zu folgen. Sie stieg auf das, was vom
Couchtisch übrig geblieben war. Sie starrte direkt ins Objektiv. Irgendwo in
diesem Land saß ein namenloser schwarzer Schatten, der zurückstarrte. Er hatte
zugesehen, wie Borg ermordet wurde. Und er sah auch in diesem Moment auf sie
herab, von ganz weit weg und ganz weit oben, geschützt durch Kabel und
elektronische Übertragungswege, durch verschlüsselte Signale und
Hochsicherheitsverbindungen, saß anonym und feige vor einem Monitor und wagte
es, ihr in die Augen zu blicken.
    »Sagt
Karsten Michael Oliver einen schönen Gruß von mir. Er soll sich warm anziehen.
Und ihr euch auch. Denn ich werde euch kriegen.«
    Sie zielte
und schoss eine fauchende Salve minus zweihundert Grad kaltes Gas auf die
Kamera ab. Augenblicklich überzog eine dicke Schicht Reif das Objektiv. Sie
hielt das Ventil so lange umklammert, bis die Flasche leer war, bis das Zischen
leiser wurde und schließlich erstarb. Erst dann ließ sie den Arm sinken und
betrachtete die dicke Schicht Eis, die sich um den Rauchmelder gebildet hatte.
    Das war
schon mal Level zwei. Und über alle weiteren würde sie der Mann mit dem
Kugelschreiberkreis um sein Gesicht und dem albernsten Namen seit Erfindung der
Sesamstraße aufklären: Quirin Kaiserley.
     
    In einem Wagen
auf der A9 Berlin Richtung Nürnberg beobachtete Kellermann, wie auf seinem
Smartphone das Bild erlosch. Nur noch das Knacken von Glas und Metall war zu
hören. Er tippte auf das rote Stoppsignal. Auf dem Bildschirm öffnete sich ein
Fenster.
    Are
you sure to Interrupt the record?
    Yes.
    Er
kopierte den Inhalt des Ordners auf eine mobile 2-TB-Festplatte, die hinter ihm
auf dem Rücksitz des Wagens lag. Erst dann schickte er das umgeleitete Signal
an die Dienststelle und nahm den Kopfhörer aus dem Ohr. Sie passierten die
gewaltige Einkaufscity Merseburg. So plötzlich, wie die Lichter der Möbelhäuser
und Tankstellen zur Rechten auftauchten, so schnell waren sie auch wieder
verschwunden. Der Wagen glitt über die sechsspurige Autobahn wie ein Phantom,
schwamm unauffällig mit im ewigen Strom der Mobilität, aus dem er erst Stunden
später wieder an der Abfahrt München-Schwabing in Richtung
Garmisch-Partenkirchen hätte ausscheren sollen. Wenn alles so gelaufen wäre wie
geplant.
    Das
gewaltige Autobahnkreuz Leipzig-West tauchte auf.
    »Ich muss
zurück. Bring mich nach Leipzig zum Hauptbahnhof. «
    Peter
Winkler, der gerade den Blinker für einen Spurwechsel gesetzt hatte, warf einen
kurzen Seitenblick auf Kellermann und dessen Handy und brach den Überholvorgang
ab.
    Er war ein
unauffälliger Mann Ende fünfzig und hatte in Juliane Westerhoffs Arena in der
ersten Reihe gesessen. Referatsleiter der 1 1F, Sonderaufgaben. Koordination
und Zusammenarbeit von Partnerdiensten. Sollte eigentlich die Kommunikation
innerhalb der nationalen Geheimdienste steuern, war aber in Kellermanns Augen
eher ein Bürokrat als Koordinator. Dadurch verhinderte er mehr, als er möglich
machte. Kellermann hatte keinen Respekt vor

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