Herrmann, Elisabeth
Talkshows sahen. Judith griff zur Fernbedienung.
»Sie
sagen, Rosenholz sei nur eine unvollständige Momentaufnahme?«
Juliane
Westerhoff, geschminkt wie eine Puppe im Wachsfigurenkabinett, nahm gerade
einen gutaussehenden Mann Anfang fünfzig ins Gebet. Es war Kaiserley. Er
erzählte etwas über Mikrofilme und Spitzel. Also die Verjährungsdebatte. Judith
setzte sich auf. Ein unangenehmer Typ machte eine Bemerkung. Die Moderatorin
bohrte weiter, und Kaiserley sah aus, als ob er gerade Vierjährigen erklärte,
warum böse Jungens ihre Sandburgen zertraten.
»Haben Sie
Beweise?«
»Nein«, antwortete
er. »Noch nicht. Aber ich werde sie finden.«
Die Kamera
schwenkte auf das Publikum. Judith stellte den Ton lauter. Das Thema
Stasi-Vergangenheit kam immer mal aus dem brodelnden Bodensatz des Sommerlochs
hoch. Quirin Kaiserley. Ex-BND-Agent. Geheimdienstexperte. Einige Jahre zuvor
hatte es einen Skandal gegeben, als einer aus dieser ominösen Truppe seinen
Schlapphut genommen und der Öffentlichkeit erklärt hatte, was in dem Laden
alles falsch lief. War er das? Sie goss sich Wein nach und verfolgte
interessiert, wie Kaiserley nach Strich und Faden vorgeführt wurde. Er schien
ein guter Verlierer zu sein, denn als Westerhoff sich mit ein paar auswendig
gelernten Floskeln verabschiedete und der Abspann über den Bildschirm lief, sah
sie, wie er sich von den anderen Gästen mit Handschlag verabschiedete.
Sie machte
den Fernseher aus und griff nach der Heimakte. Lange betrachtete sie das Foto
des Kindes, das sie einmal gewesen war. Asozial. Schwachsinnig. Die alten
Narben pochten.
Sie nahm
die fast leere Weinflasche, öffnete die Glastür zu ihrem winzigen Balkon und
trat hinaus. In dieser Höhe spielte eine leichte Brise mit ihren Haaren. Es war
immer noch sehr warm. Eine tropische Nacht, wie der Wetterdienst nicht müde
wurde zu betonen, als ob das Land sich in einen botanischen Garten verwandeln
würde, in dem sich Kakadus statt Amseln tummelten. Sie hob die Flasche und
trank einen Schluck. Borg, die Schwedin, kam nach Deutschland, besorgte sich so
einfach mir nichts, dir nichts Judiths Heimakte und wurde umgebracht. Und das
keine fünfhundert Meter von diesem Balkon entfernt.
Die
Erkenntnis traf Judith mit einer solchen Wucht, dass sie um ein Haar die
Flasche zehn Stockwerke tief hätte fallen lassen. Es war so klar. So eindeutig.
So offensichtlich wie eingenähte Wäscheschilder und die Nummer, die man sein
ganzes Leben mit sich trug, als wäre sie eintätowiert. Borg, dachte sie und
kniff die Augen zusammen, um in dem Häusermeer auf der anderen Seite die
Wohnung der anderen auszumachen. Mein Gott. Warum bist du hierhergekommen?
Sie fand
das Stockwerk auf der anderen Seite der Landsberger. Die Fenster waren hell
erleuchtet, und ein schwarzer Schatten huschte durch die Räume.
*
Teetee
hatte den Generalschlüssel noch im Wagen. Vor gar nicht allzu langer Zeit erst
hatte er die Wohnung verkabelt. Er war sich sicher, dass niemand die Kameras
und die Mikrophone gefunden hatte und auch die Polizei ihm nicht auf die
Schliche gekommen war.
Vorsichtig
stellte er einen Küchenstuhl auf den Couchtisch. Die Konstruktion war zwar
wackelig, aber seine einzige Chance, wenn er an diese Kamera herankommen
wollte. Schließlich konnte er keine Leiter in die Wohnung hochschleppen. Alle
anderen Units hatte er bereits abmontiert und in den Seitentaschen seiner
Arbeitshose versenkt. Nur diese letzte nicht. Sie befand sich im Rauchmelder,
war infrarot, nacht- und gegenlichttauglich. Er hatte keine Ahnung, wohin sie
ihre Bilder gesendet hatte. Wenn er sich umsah, wollte er das auch gar nicht
wissen. Er wollte nur so schnell wie möglich wieder raus.
Komplikationen
vermeiden, das hatte Kellermann gesagt. Bei der Renovierung würden vielleicht
die Steckdosen ausgetauscht, und da würde jeder noch so dusselige Elektriker
kapieren, dass dieses Apartment eher einem Fernsehstudio glich als einer
Wohngelegenheit. Geglichen hatte, verbesserte er sich. Noch immer zitterten
seine Hände und waren schweißnass. Er versuchte nicht auf den Sessel mit den
großen, schwarzen Flecken zu starren. Viel mehr Komplikationen konnte es in
dieser Wohnung eigentlich gar nicht mehr geben.
Er stieg
hinauf und drehte das Gehäuse des Rauchmelders ab. Die Kamera saß unberührt
genau an der Stelle, an der er sie angebracht hatte. Es gelang ihm nicht, den
Clip zu verschieben, um sie zu
lockern. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Plötzlich
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