Herrmann, Elisabeth
Bürokraten. Nie gehabt.
Da an
Kaiserley nicht nur der BND, sondern auch der Verfassungsschutz immer wieder
Interesse zeigte, hatte Kellermann Winkler aus zwei einfachen Gründen mit auf
diese Dienstreise genommen: Er sollte den Kollegen auf die Finger schauen, und
er fuhr den Wagen. Dazu kam noch ein dritter Grund: Kellermann brauchte jede
Stimme, wenn er nicht auf der Shortlist zur Wahl des nächsten BND-Präsidenten
auf den Abstiegsplätzen landen wollte. Er war seit zwanzig Jahren Winklers
Chef. Und er hatte vor, das auch zu bleiben.
»Jetzt?
Warum das denn?«
Kellermann
schloss die Augen. »Ein operativer Vorgang wurde enttarnt.«
»Nicht
gut. Jemand vom Außendienst?«
»Nein, ein
Techniker beim Abbau der Kameras.«
»Von wem?«
Kellermann
dachte an die Bilder auf seinem Smartphone. Immer, wenn jemand die Wohnung
betreten hatte, hatte der Bewegungsmelder die Kamera aktiviert. Er hatte die
Bilder dieses grausamen, endlosen Mordes noch vor Augen. Nun waren neue
dazugekommen: eine Frau, die den Blutspuren gefolgt war wie ein Indianer einem verwundeten
Tier. Ein Waldläufer, der Ereignisse zu wittern schien, egal, ob sie sich in
der Vergangenheit, der Zukunft oder der Gegenwart abspielten. Als ausgerechnet
diese Frau Teetee überraschte, hatte er sich gefragt, wer sie ausgebildet
hatte und für wen sie arbeitete. Er fragte sich das immer noch. Obwohl er
wusste, dass oft die absurdesten Erklärungen auch die treffendsten waren.
»Eine
Putzfrau.«
»Nee,
nich?«
Winkler
schaute kurz zu ihm hinüber. Aber Kellermann verzog nur die fleischigen Lippen
und ließ sein Handy in der Anzugtasche verschwinden.
»Und wen
hat sie erwischt?«
»Täschner.«
Winkler
stieß einen Laut aus, der entfernt wie ein Lachen klang. »Täschner.
Ausgerechnet. Ehrlich, ich verstehe nicht, wie ihr den immer noch auf die
Menschheit loslassen könnt. Eine Putzfrau!«
Kellermann
schwieg. Ein blaues Schild mit der Aufschrift Weißenfels huschte an ihnen
vorüber. Sein Fahrer, den er offiziell niemals so nennen würde, verlangsamte
die Geschwindigkeit. Er konnte Winkler verstehen. Aber er hatte seine Gründe,
Täschner zu halten. Ihn zu schützen. Mit solchen Einsätzen zu pampern.
Angelina Espinoza am Telefon zu erklären, warum sie fast das Doppelte für
diesen Job bekam, wenn sie auch weiterhin ein bisschen freundlich zu Täschner
wäre.
»Not as kind as you are to me«, hatte er hinzugefügt.
Ab und zu
trafen sie sich, und er hoffte, dass ihr Lachen und ihr wundervolles Stöhnen,
wenn er auf ihr lag und zu ihr kam, ehrlich waren. Glaube und Hoffnung.
Gemeinsam mit der Liebe das Triumvirat der Schwäche. Kellermann betrachtete
seinen Ehering.
»Du weißt,
warum er so wichtig für uns ist. Irgendwann wird Kaiserley mit ihm Kontakt
aufnehmen. Sich an uns wenden.«
»Ja«,
knurrte Winkler. »Aber nicht wegen einem Haufen alter Mikrofilme.«
»Hast du
mal wieder was von ihm gehört?«
Winkler
schüttelte den Kopf. »Nein. Du?«
»Auch
nicht. Er sah nicht gut aus heute Abend.«
»Nein.
Nicht gut.«
»Ich
glaube, da vorne geht's runter.«
Winkler
verließ die Ausfahrt und fädelte sich auf der B48 Richtung Leipzig Zentrum ein.
Kellermann lehnte sich zurück in die Polster und wunderte sich, warum man hier
Hotels und Futtersilos direkt nebeneinander an der Autobahn baute.
*
Quirin
Kaiserley war eitel. Anders hätte er es nicht zu einer gewissen Berühmtheit
gebracht. Erstaunt registrierte Judith die vielen Interviews, die er zum
Erscheinen seiner Bücher gegeben hatte. Irgendwie war die Existenz dieses
Mannes fast völlig an ihr vorübergegangen. Seit sie von den Kollegen mit
Bücherkisten eingedeckt wurde, las sie kaum noch Zeitung, und von der Welt der
Geheimdienste hatte sie ein Bild, das ungefähr dem entsprach, das Produzent A.
R. Broccoli - schon dieser Name war zu gut, um wahr zu sein - für die
James-Bond-Filme der siebziger Jahre geschaffen hatte. Dass diese Filme dem
KGB tatsächlich einmal als Unterrichtsmaterial gedient hatten, nahm sie als
eine der kleinen Schmonzetten wahr, mit denen Kaiserley seine eigentliche
Botschaft garnierte.
Was Sie
heute via Facebook über Ihre Freunde verraten, dafür musste man früher lange
foltern.
Judith
hatte keine Freunde. Schon gar nicht auf Facebook. Seit zwei Stunden
beschäftigte sie sich mit nichts anderem, als das Internet nach Artikeln von
und über Kaiserley abzusuchen.
Tatsächlich
erfuhr sie aus den Fragen der Journalisten fast mehr als aus seinen
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