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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Fricke schob ab, das Scheppern der Leiter untermalte seinen heroischen
Einsatz wie ein akustisches Ausrufezeichen. Judith warf einen vergessenen
Putzschwamm in einen Eimer auf ihrem Wagen und rollte ihn leise klirrend hinaus
in den Flur.
    Wie auf
Bestellung öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und Peppi schoss heraus. Er
stürzte auf sie zu, schnupperte und kläffte und wollte an ihr vorbei in die
Wohnung. Judith schob ein Knie vor und hätte ihn am liebsten am Kragen gepackt,
aber schon folgte ihm sein Frauchen und stutzte beim Anblick des Rollwagens.
    »Schon
fertig?«
    Ihre
Stimme klang scharf wie ein geschliffenes Kartoffelmesser.
    »War nicht
viel zu tun.«
    Judith
schubste das Vieh zur Seite und schloss sorgfältig ab. Dann schob sie den Wagen
gemächlich Frau und Hund hinterher, die bereits den Aufzug erreicht hatten. Im
Vorübergehen las sie den Namen neben dem Klingelschild. Schneider. Peppi hechelte
nervös hin und her.
    »Haben Sie
eigentlich von der Sache was mitbekommen?«, fragte Judith.
    Frau
Schneider fixierte die Metalltüren, als würde sich auf ihnen gleich mit
Flammenschrift eine Antwort abzeichnen. Judith arretierte den Wagen.
    »Sie waren
ja schließlich Nachbarn. Da hört man doch was, oder?«
    »Die sind
nachts gekommen. Ich schlafe immer mit Ohrstöpseln, wegen der Autobahn. Und
den Asozialen da unten.«
    Bei dem
Wort zuckte Judith zusammen. Der Fahrstuhl kam, und sie ließ den beiden den
Vortritt. Dann schob sie den Wagen hinterher und zog den Bauch ein, damit die
Türen sich auch schlossen.
    »Und
sonst?«, fragte sie. »Wie war sie, Frau Borg?« Die Nachbarin zuckte
nichtssagend mit den Schultern. »Keine Ahnung. Sie hat ja nicht lange hier
gelebt. Gewohnt, meine ich.«
    »Sie kam
aus Schweden.«
    »Ja.«
    Der Aufzug
hielt im dritten Stock. Ein älterer Herr überblickte sofort die Situation und
ließ sie weiterfahren. Peppi kläffte.
    »Hat sie
mal gesagt, was sie hier wollte?«
    »Nein. Wo
haben Sie denn den ganzen Müll hingebracht?«
    »Zur BSR.«
    Das schien
die Frau zu beruhigen. Als sie das Erdgeschoss erreichten, legte sie ihrem
Liebchen die Leine an, drängte sich grußlos an Judith vorbei und ließ sich von
Peppi zur Straße zerren.

 
    Wieder in
der Firma, studierte Judith den Dispositionsplan und stellte zu ihrem Ärger
fest, dass Dombrowski ihr noch nicht einmal einen freien Tag für das
verpfuschte Wochenende gegönnt hatte. Ihre nächste Schicht begann morgens um
sechs in einem Wilmersdorfer Krankenhaus. Das hieß unter die Dusche, irgendwo
eine Pizza essen und dann noch ein paar Stunden Schlaf. Schönen Dank. »War
alles okay?«
    Dombrowski
war wieder so leise herangeschlichen, dass sie ihn nicht gehört hatte. Einen
Moment überlegte sie, ob sie ihn mit der Summe der Dinge, die nicht in Ordnung
waren, behelligen sollte.
    »Ja. Alles
okay«, antwortete sie schließlich.
    Dombrowski
musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Dann ging er weiter in sein Büro,
ließ aber die Tür offen stehen. Ein Zeichen, dass sie ihm folgen sollte.
Manchmal hatte Dombrowski das Bedürfnis, nach solchen Einsätzen Mitarbeitergespräche
zu führen. Eine Art Supervising unter Tatortreinigern. Judith hatte weder Zeit
noch Lust dazu und trottete mit einem unwilligen Seufzen hinterher.
    »Hier.«
    Die karge
Einrichtung seines Büros wurde von einem riesigen Strauß gelber Rosen geradezu
karikiert. Blüten, groß wie Äpfel, mindestens dreißig Stück. Sie überstrahlten
alles mit ihrer wächsernen Schönheit und hätten eher in die Mitte einer
gewaltigen Empfangshalle gepasst als in diesen engen, abgewetzten Raum. Dombrowski
schien von ihrer Anwesenheit ebenso erdrückt wie das Mobiliar. Er blieb vor dem
Arrangement stehen, das fast einen Meter im Durchmesser hatte, und betrachtete
es mit einem Blick, den er sonst nur für Ungeziefer übrighatte. Judith hatte
ihn noch nie in der Nähe von Blumen gesehen. Mit leiser Belustigung stellte sie
fest, dass sie ihn verunsicherten. »Für dich?«, fragte sie. »Wow.«
    »Weder für
mich noch von mir. Hat ein Mann abgegeben, der nach dir gefragt hat und deine
Nummer wollte.«
    »Und?«
    »Hab ich ihm
natürlich nicht gegeben.«
    Dombrowski
wies auf einen kleinen Briefumschlag, der in den Blumen steckte. Judith holte
ihn heraus und öffnete ihn. Das ging so leicht, dass Dombrowski vermutlich
schon vor ihr nachgesehen hatte.
    »Es tut
uns leid, dass Sie Unannehmlichkeiten hatten. Bitte melden Sie sich«, las sie
vor. Darunter stand eine Handynummer.

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