Herrmann, Elisabeth
sie herum.
»Moment,
Moment.« Er versuchte, seine Stimme beruhigend klingen zu lassen. Er hatte
übertrieben, um sie vor sich selbst zu schützen. Aber sie schien die Sache
ernster zu nehmen, als sie war.
»Wer hat
wen umgebracht?«
»Der BND.
Eine Frau.«
Eine
Ahnung stieg in ihm hoch, so unwahrscheinlich, dass er sie nicht zulassen
konnte. Sie wollte die Tür öffnen. Aber Quirin hatte sie schon wieder an den
Schultern gepackt und presste sie an die Wand.
»Wen hat
der BND Ihrer Meinung nach getötet?«
»Eine Frau
aus Schweden.«
»Wie alt?«
»So alt
wie ich.«
»Wann?«
»Vor zwei
Wochen, ungefähr.«
Er hatte
geglaubt, er wäre immer noch ein Profi. Er hatte sich geschützt gefühlt durch
seine Ausbildung und die langen Jahre, in denen das Lügen und Hintergehen zu
seiner zweiten Natur geworden waren. Aber er hatte sich getäuscht.
»Sie hieß
Christina Borg.«
Das war
unmöglich. Das konnte nicht sein. Quirin ließ sie los. Borg. Christina Borg.
Die
Putzfrau blieb stehen wie ein Paket, das in der Ecke vergessen worden war. Sie
rührte sich nicht von der Stelle. Er legte die Hände vors Gesicht, weil er
ihren Blick nicht ertragen konnte, der auf ihn gerichtet war wie ein
Röntgenstrahl.
»Nein«,
sagte er. »Nein ... ich ...«
Ihm fiel
der raue Akzent wieder ein und dass sie über Sassnitz Bescheid gewusst hatte.
Die Mörder von damals lebten noch. Und sie töteten wieder.
Die
Putzfrau starrte ihn immer noch an, als wäre er ganz großes Kino. Dabei war
der Vorhang schon längst gefallen.
»Warum
möchten Sie das alles wissen?«, fragte er. »Warum machen Sie nicht einfach
Ihren Job und gehen wieder nach Hause?«
»Weil Borg
ein Heimkind war. Genau wie ich.«
»Kannten
Sie sich?«
»Nein.«
»Woher
wissen Sie das dann?«
Endlich
wandte sie den Blick ab. Sie suchte etwas in ihren Taschen. Zum Vorschein kam
ein Tabakpäckchen. Sie holte eine selbstgedrehte Zigarette heraus und zündete
sie sich an, ohne um Erlaubnis zu fragen.
»Das ist
egal. Was haben Sie mit der Toten zu tun?«
»Wir sind
uns ein Mal begegnet. Sie hatte etwas, das sie mir geben wollte.«
»Was?«
»Nichts.
Nichts von Interesse. Für Sie, meine ich.« Ein aberwitziger Gedanke stieg in
ihm hoch. »Haben Sie in der Wohnung beim Saubermachen etwas gefunden?
Florena-Dosen vielleicht?«
»Ja.
Vier.«
Quirin
glaubte, sich verhört zu haben. »Wo sind sie?«
»Im Müll.«
»Was? Was
war drin? Haben Sie hineingesehen?« Judith tastete sich ein paar Zentimeter
Richtung Tür. Vermutlich hielt sie ihn für völlig verrückt. Aber so war die
Welt. Sie war nicht immer in einem Satz zu erklären. Die seltsamsten Dinge geschahen
auf die rätselhafteste Weise und gelangten auf verschlungenen Pfaden in die
Hände einer ahnungslosen Putzfrau.
»Das hat
die Spurensicherung schon gemacht.«
»Und?«
»Creme. In
allen vieren. Und sonst nichts. Hat das alles was mit mir zu tun?« Sie atmete
den Rauch so langsam aus, wie sie den nächsten Zug inhalierte. »Mit meiner
Vergangenheit?«
Das war
absurd. Die ganze Situation geriet aus den Fugen. Christina Borg war tot. Die
Mikrofilme waren vielleicht schon längst vernichtet oder würden nie wieder
auftauchen. Und in seiner Wohnung stand morgens um fünf eine rauchende Putzfrau
und machte sich Gedanken darüber, ob diese Katastrophe etwas mit ihrem
verkorksten Lebenslauf zu tun haben könnte.
»Nein. Sie
können ganz beruhigt nach Hause gehen. Sie sind zu jung. Sie verstehen die
Zusammenhänge nicht.«
»Ah, das
große Ganze.« Die Asche ihrer Zigarette fiel auf den Boden.
Quirin
rieb sich mit den Händen über das Gesicht. »Hören Sie, Frau Kepler, ich will
nicht unhöflich sein. Das alles ist ein Schock für mich. Können Sie das
verstehen? Ich kannte sie nur flüchtig. Aber trotzdem würde ich jetzt gerne
allein sein.«
»Ja.
Sicher.«
Sie ging
zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. Dann drehte sie sich noch einmal zu
ihm um.
»Sie sind
ein ganz schlechter Schauspieler. Nicht nur im Fernsehen.«
Sie ging,
ohne ein Wort des Abschieds, und zog die Tür leise hinter sich zu.
Täschners
Ausweise lagen noch auf dem Couchtisch. Er nahm den orangefarbenen hoch und
betrachtete das Foto. Tobias. Tief in ihm regte sich etwas, aber er ließ nicht
zu, dass es sich in ein fast väterliches Gefühl verwandelte.
Täschner
war und blieb ein Vollidiot. War Kellermann noch sein Chef? Dann würde Teetee
ihm beichten müssen, wie es zu dieser unsäglichen Panne kommen konnte.
Kellermann
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