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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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fallen ließ, blickte er irritiert hoch, denn außer zwei Studenten und einer
etwas hilflos wirkenden Asiatin mit falsch zusammengefaltetem Stadtplan befand
sich niemand in dem Abteil. Er sah ihre abgewetzte Jeans, die alten Turnschuhe
und das ausgeblichene T-Shirt.
    »Ich habe
mich verspätet«, sagte sie.
    Er hob die
Augenbrauen, und das war der einzige Moment der Überraschung, den er sich
gestattete. »Frau Kepler?«
    Sie
nickte. Er streckte ihr seine Hand entgegen. Judith ignorierte die Geste.
    »Jürgen
Weckerle. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. In natura sehen Sie besser aus.«
    Wenn das
ein Kompliment gewesen sein sollte, dann war er nicht in Übung. Aber zumindest
wusste sie jetzt, dass er es war, dem sie noch ein paar nette Worte gesagt
hatte, bevor sie die Kamera vereist hatte.
    Der Zug
verließ den Tunnel und fuhr in den Bahnhof Stadtmitte ein. Der Waggon rüttelte
über die Weichen. Judith rückte ein Stück an die Sitzkante, weil sie jede
Berührung mit diesem Mann vermeiden wollte, der nicht aussah, als sei er als
Jürgen Weckerle auf die Welt gekommen.
    »Was war
das für eine Nummer in Borgs Wohnung?«
    Weckerle
sah sich um, aber die wenigen Mitreisenden saßen zu weit entfernt, um etwas von
ihrem Gespräch mitzubekommen.
    »Das
Gleiche könnte ich Sie fragen. Sie haben Eigentum des Staates entwendet.«
    »Die
Kamera? Der Hausmeister wird sie auf dem Flohmarkt verkaufen, nehme ich an.«
    Seine
kräftigen Lippen verzogen sich. Es sollte wohl ein Lächeln werden, aber damit
kam sein Gesicht nicht ganz klar, es blieb irgendwo im Ansatz stecken.
    »Dann
hoffen wir, dass er dafür noch was bekommt.«
    »Wer ist
wir?«
    Die Bahn
fuhr an.
    »Wir sind
ein Sicherheitsunternehmen mit vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen.«
    »Sie haben
einen Mord aufgezeichnet.«
    Weckerle
sah aus dem Fenster, hinter dem wieder die rußschwarzen Wände des
U-Bahn-Schachtes vorbeiflogen.
    »Sie haben
zugeschaut und nichts unternommen. Sie wissen, wer der Täter ist und was er
gesucht hat. Hallo?«
    Weckerle
wandte sich ihr mit einem bedauernden Seufzen zu, das sie ihm ebenso wenig
abnahm wie das Märchen vom Sicherheitsunternehmen.
    »Wir
wissen es nicht.« Er hatte hellbraune Augen, unter denen dunkle, fast violette
Schatten lagen. Im Neonlicht des Waggons sah er alles andere als gesund aus.
»Er war vermummt. So wie Sie.« Sein halbes Lächeln bekam etwas Gefährliches.
    »Netter
Versuch«, sagte Judith. »Aber die Nummer können Sie gleich vergessen. Solange
es offiziell weder einen Mord noch einen Mörder gibt, bin ich ja wohl auf der
sicheren Seite.«
    »Das freut
mich, wenn Sie das so sehen. Es ist übrigens ein weitverbreiteter Irrtum, dass
die Polizei jeden Todesfall an die große Glocke hängt. Die kriminaltechnischen
und forensischen Untersuchungen ergeben manchmal erst nach Wochen, ob es sich
um ein Tötungsdelikt handelt oder nicht. Mir ist kein Fall bekannt, in dem die
Polizei Monate später vor die Presse getreten wäre, um bekanntzugeben: Hoppla,
der Treppensturz neulich oder der angebliche Selbstmord war doch ein
Verbrechen. Nein. Glauben Sie mir, der Öffentlichkeit wird nur zugemutet, was
sie auch vertragen kann. Meistens jedenfalls.«
    »Machen
Sie die Bullen nicht dümmer, als sie sind.«
    »Sie sind
eine außergewöhnliche Frau.«
    Judith
schnaubte. Diese Sprüche kannte sie. Sie hatte ihn nicht um eine Beurteilung
ihrer Person gebeten.
    »Und einen
unserer Techniker in die Flucht zu schlagen ist auch noch niemandem gelungen.
Was war eigentlich in der Flasche? Er hat sich krankgemeldet.«
    »Sauerstoff.
Eigentlich müsste es ihm blendend gehen.«
    Sie
schwiegen, bis der Zug unter ohrenbetäubendem Kreischen in die Station
Hallesches Tor einfuhr.
    »Lassen Sie
uns offen reden«, fuhr Weckerle fort, als die Unruhe der Aus- und
Einsteigenden sich gelegt hatte. »Sie haben etwas, das wir suchen. Geben Sie
es uns.«
    »Die
Ausweise von Karsten Michael Oliver Undsoweiter? Die sind bei Quirin
Kaiserley.«
    Judith
beobachtete jede seiner Regungen. Doch er hatte sich im Griff. Sie sah nur
einen Hauch von gut gespielter Verblüffung.
    »Wer ist
das?«
    »Jetzt
machen Sie sich lächerlich. Das muss ich Ihnen doch nicht erklären.«
    »Dieser
Schriftsteller?«
    »Wenn Sie
so wollen, ja.«
    »Und warum
haben Sie das Material ausgerechnet ihm in Verwahrung gegeben?«
    Weil ich
Trottel es da vergessen habe, dachte Judith. Aber ich kann mir die Ausweise ja
jederzeit wiederholen.
    »Herr
Kaiserley wird damit

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