Herrmann, Elisabeth
zusammengesetzt und führte am
Ufer entlang links hinunter nach Sassnitz und rechts nach Mukran, verlor sich
aber in dieser Richtung schon nach wenigen Metern in ödem Brachland.
Judith
stellte den Wagen ab, stieg aus und ging über einen kleinen Pfad so nahe ans
Ufer, wie es die großen Steinbrocken der alten Befestigung zuließen. Sie sah
nach Norden: Der Blick ging vorbei an einigen Schuppen bis zum ehemaligen
Fähranleger. Dunstige Nebelschleier lagen über dem Wald und den Dächern der
Häuser. Die Stadt dampfte. Hoch über dem Ufer thronte die kastige Silhouette des
Kurhotels.
Sie sah
nach Süden: Ödnis. In der Ferne ein paar Kräne, vom Meer her näherte sich ein
Passagierschiff und hielt Kurs auf die neuen Anlegestellen und Terminals.
Chantal hatte sich geirrt.
Judith
drehte sich um, ging zurück, wollte einsteigen und blieb wie angewurzelt
stehen. Im Wald, auf der anderen Seite des Pfades, umgeben von dichtem Grün und
einem verrosteten Zaun, lag ein hübsches, weißes Haus. Vielleicht war es einmal
ein Hotel gewesen. Vielleicht auch eine Behörde, die alte Hafenmeisterei. Oder
ein Sanatorium.
Judith
warf die geöffnete Wagentür wieder zu. Vielleicht auch ein Altersheim.
Gewaltige
Flieder- und Kirschlorbeerbüsche verdeckten den Zaun fast völlig. Soweit Judith
feststellen konnte, gab es vom Ufer her keinen Zugang auf das Grundstück. Sie
näherte sich dem Gelände und hörte im gleichen Augenblick Hundegebell.
Es gab ein
Haus. Es gab die Hunde.
Judith
wandte sich ab und ging zurück zum Transporter. Sie würde nicht noch einmal den
gleichen Fehler wie bei Frau Langgut machen. Sie würde sich duschen, umziehen
und dann gut vorbereitet zurückkommen.
Die Luft
duftete wie frisch gewaschen. Plötzlich wusste sie, was fehlte. Der Geruch von
Diesel und Fisch.
*
Teetee saß
vor seinem Toughbook und drehte Däumchen. Judith Kepler war ziemlich
übersichtlich. Sie hatte eine EC-Karte der Sparkasse, war krankenversichert und
hatte sich vor einem halben Jahr die Mitgliedschaft in einem Tierschutzverein
andrehen lassen. Miete, Telefon und Strom wurden abgebucht. Sie hob zwei Mal im
Monat Geld von ihrem Konto ab und bezahlte damit offenbar alles, was sie für
den täglichen Bedarf brauchte. Ein paarmal hatte sie ihre EC-Karte benutzt,
meist in einem Schallplattenladen am Berliner Nollendorfplatz, wo sie im Vergleich
zu ihren sonstigen Ausgaben jedes Mal von einem Kaufrausch gepackt wurde und
nie unter zweihundert Euro ließ. Sie hatte einen Internetzugang, aber der
Computer war nicht eingeschaltet. Also keine Trojaner. Sie besaß kein Auto,
und ihr Festnetztelefon benutzte sie so gut wie nie. Allenfalls, um sich eine
Pizza zu bestellen oder in der Firma anzurufen, Dombrowski Facility Management.
Das Handy hatte er zum letzten Mal am Mittag vor einem Krankenhaus in
Berlin-Schöneberg geortet.
Ein
ziemlich unspektakuläres Leben für eine Frau, für die sich der Geheimdienst
interessierte. Aber das war normal. Je unauffälliger, desto interessanter. Er
beschloss, eine Passabfrage hinterherzuschießen. Vielleicht hatte sie ja Gold
auf den Caymans angelegt oder ein Schließfach in Liechtenstein.
Pech.
Judith Kepler verfügte noch nicht einmal über einen gültigen Reisepass, und
ihren PA musste sie demnächst verlängern lassen. Sein Magen begann zu knurren.
Teetee hatte in Erwartung seiner Hinrichtung den ganzen Tag nichts gegessen.
Der
Parkplatz vor dem Fenster war schon fast leer. Der BND war und blieb eben eine
Behörde. Dienstschluss war heilig.
Er griff
zum Telefon und rief Kellermann an. Aber er bekam nur Klärchen an den Apparat,
die einen haltlosen Unsinn über eine Sitzung erzählte. 18 Uhr, Montagabend.
Leerer Parkplatz. Da gab es keine Sitzungen mehr in Pullach. Es sei denn, die
Russen kamen. Haha. Teetee bat sie, Kellermann seinen Anruf auszurichten.
Dann beschloss er, diesen nicht sehr produktiven Arbeitstag zu beenden.
Er fand
den provisorischen Besucherausweis in seiner Jeanstasche. Der Pförtner kannte
ihn und nickte ihm nur kurz zu, als Teetee das Papier in die Drehschale warf
und dann an der Autoschranke vorbei, immer verfolgt von den drei weißen Kameras,
hinaus auf die Straße Richtung Bushaltestelle ging.
Vielleicht
hatten sie auch das Taxi im Visier, das langsam hinter Teetee herrollte und
erst außer Sichtweite des Tors mit einem Hupen auf sich aufmerksam machte.
Teetee
sprang erschrocken zur Seite. Der Beifahrer lehnte sich aus dem Seitenfenster,
das er schon vorher
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