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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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weiß.
Ich würde auch nicht lange stören. Aber Frau Jonas wartet auf mich.«
    Schwester
Reinhild sah unschlüssig zu einem abgeteilten Verschlag in der Halle, der wie
alles in diesem Haus, das nachträglich eingebaut und angebracht worden war,
wie ein Fremdkörper wirkte. Einsatzpläne an der Wand, ein Schreibtisch mit
Besucherbuch und mehrere Ablagekörbe. Unter dem Tisch standen Styroporkisten,
in denen Essen oder Medikamente transportiert wurden.
    »Wie war
Ihr Name?«
    »Judith
Kepler.«
    Schwester
Reinhild verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln, als wäre ihr plötzlich
etwas eingefallen. Doch sofort hatte sie sich wieder in der Gewalt.
    »Frau Jonas
bekommt seit Jahren keinen Besuch.«
    »Doch«,
antwortete Judith. »Es muss vor kurzem schon jemand da gewesen sein.«
    Wenn Borg
tatsächlich über Sassnitz gekommen war, wenn sie wirklich bis zur Deutschen
Seniorenfürsorge gefunden hatte, wenn sie bei Martha Jonas gewesen war, dann
hieß das ... Judith hielt den Atem an.
    »Eine Frau
aus Schweden«, presste sie heraus. »Christina Borg.«
    »Sind Sie
mit ihr verwandt?«
    »Nein«,
sagte Judith. »Nicht direkt. Wir waren nur im gleichen Heim.«
    »In
Sassnitz?«
    »Ja.«
    »Also eine
Gagarin. Warum sagen Sie das nicht gleich?«
    Schwester
Reinhild ging in den Verschlag. Vor ihr auf dem Tisch lag das Besucherbuch.
Judith sah sich um. An der Wand hing ein Belegungsplan. Unauffällig versuchte
sie, einen Blick darauf zu werfen. Die Pflegerin öffnete das Buch.
    »Frau
Jonas bekommt fast nie Besuch von ihren Kindern. Sehr schade, wie ich finde.
Die Menschen haben so viel getan, sich aufgeopfert und schließlich für andere
den Kopf hingehalten.«
    »Ja, sehr
schade«, hörte sich Judith sagen. »Aber man sagt, das hier ist ein Haus der
Zuflucht.«
    Die
Schwester sah nicht hoch. Sie studierte Reihe um Reihe der Eintragungen. »Ein
schöner Gedanke. Ja, so etwas Ähnliches sind wir. Ein Haus der vergessenen
Helden.«
    Sie
klappte das Besucherbuch zu.
    »Es gibt
tatsächlich einen Eintrag. Auch o. A., ohne Anmeldung. Das wundert mich, denn
Frau Jonas dürfte eigentlich nur nach Rücksprache mit Herrn Dr. Matthes besucht
werden. Das ist zumindest die Anweisung.«
    »Ist sie
krank?«
    »Nein. Dr.
Matthes ist der Leiter dieses Hauses und gleichzeitig Psychologe. Wir haben
Anweisung, ihn bei unvorhergesehenen Besuchen dazuzurufen. Es ist vorgekommen,
dass Leute sich hier hereingeschlichen und unsere Gäste belästigt haben. Sogenannte
Opfer, die auf die sogenannten Täter losgehen.«
    Judith
nickte. Ein verstecktes Haus im Wald, abgeschottete Patienten, ein Psychologe,
der die Zugangsberechtigungen erteilte. Und das als Heimat für jene, für die
die neuen Vorzeichen von Schuld und Unschuld keine Rolle spielten. Ein ruhiger,
möglichst ungestörter Lebensabend im Kreis von Gleichgesinnten.
    Die
Schwester schien Vertrauen gefasst zu haben. Sie dirigierte Judith hinaus aus
dem Verschlag in die Halle.
    »Wir haben
einige sehr prominente Gäste«, sagte sie. »Aber wir verzichten bewusst auf
solche Dinge wie Sperranlagen und professionellen Wachschutz. Wir regeln das
anders. Herr Dr. Matthes ist heute Abend leider nicht da. Ich bin mir sicher,
er würde einer so netten Dame, wie Sie es sind, gerne den Besuch erlauben.
Kommen Sie morgen wieder.«
    »Aber Frau
Jonas war doch nicht prominent. Sie war nur Erzieherin.«
    »Das
einzuschätzen obliegt nicht uns.«
    »Ich will
sie sehen.«
    »Herr Dr.
Matthes würde vorher gerne mit Ihnen ...«
    »Lebt sie
hier als freier Mensch mit freiem Willen?« Die Augen der Schwester wurden
schmal. »Selbstverständlich. «
    »Dann
möchte ich jetzt zu ihr.«
    Hinter der
glatten Stirn der Schwester arbeitete es. Sie sah auf ihre Armbanduhr und warf
dann einen verstohlenen Blick in die beiden Gänge, die von der Haupthalle
abzweigten. Es war weit und breit niemand zu sehen.
    »Also gut.
Gehen Sie. Zimmer elf. Links runter.«
    »Danke.«
    Schwester
Reinhild sah ihr hinterher, dann ging sie hastig zurück zur Rezeption.
     
    Judith
klopfte und öffnete leise die Tür. In diesem Zimmer brannte kein Licht. Die
Baumkronen tauchten es in ein schattiges Halbdunkel. Es hätte ein
Behördenzimmer sein können, mit dem üblichen schmucklosen Aktenschrank und
seinem leeren Schreibtisch, wäre da nicht das Bett gewesen.
    Es stand
an der Wand, ein Galgen über dem hochgestellten Kopfende. In ihm lag eine
abgemagerte, alte Frau. Sie hatte nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit der
Frau, die Judith

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