Herrmann, Elisabeth
der Ferne auf. Die Vororte, dann
moderne Bürogebäude, und schließlich elegante Villen und alte Backsteinhäuser.
Sie hörte, wie Kaiserley die Tür wieder schloss.
»Was haben Sie in Malmö vor?«
Sie legte den Kopf an die Scheibe. Sie war kühl und linderte den Schmerz
etwas. »Urlaub«, sagte sie.
Die Cafeteria hatte kein Frühstück mehr, nur noch Kaffee. Sie fanden einen
Tisch ganz vorne an den Panoramafenstern, der gerade von einer aufgeregten
Familie verlassen wurde. Der Saal leerte sich, die meisten wollten die Einfahrt
in den Hafen und das Anlegemanöver von Deck aus verfolgen. Leise Fahrstuhlmusik
dudelte aus den Lautsprechern. Time after time in einer Version für Hammondorgel. Quirin kam mit einem Plastiktablett
zurück an den Tisch. Judith hatte sich ans Fenster gesetzt, mit dem Rücken zu
den anderen Passagieren, und spielte mit einer unbenutzten Papierserviette.
»Kaffee?«
»Danke.«
Sie nahm den Becher in beide Hände, wie sie das schon bei ihrem ersten
Treffen in seiner Wohnung getan hatte. Quirin setzte sich neben sie. Eine Weile
schauten sie schweigend auf die weiß gestrichene Reling und die gewaltigen Kräne,
an denen sie langsam vorüberzogen.
»Haben Sie Schmerzen? Brauchen Sie einen Arzt?«
Sie schüttelte den Kopf. Er hatte sie ausgezogen und verbunden. Er
wusste, dass sie nichts bei sich hatte. Noch nicht einmal ihren Tabak.
»Möchten Sie rauchen?«
Sie nickte. Quirin ging zur Kasse der Cafeteria und kaufte ein Päckchen
Marlboro und Streichhölzer. Mit ihren Kaffeebechern gingen sie aufs Mitteldeck.
Moderne Hafenanlagen mit Lofts und verglasten Verwaltungsgebäuden zogen langsam
an ihnen vorüber. Es war kurz vor zehn. Judith versuchte, sich die Zigarette
anzuzünden, aber es gelang ihr nicht. Quirin nahm ihr die Streichhölzer ab und
gab ihr Feuer.
»Was haben Sie mit Ihren Händen gemacht?«
»Geschnitten.« Sie inhalierte tief und lehnte die Oberarme auf die Reling.
Kaiserley stellte sich neben sie.
»Solche Wunden reißt eigentlich nur Stacheldraht. Sind Sie irgendwo
eingebrochen?«
Sie wandte sich ab. »Ich greife in ziemlich viel Scheiße. Da achtet man
irgendwann nicht mehr darauf.«
Es war kühl an Deck. Der Wind spielte mit ihrem T-Shirt. Sie sah aus wie
eine Vierzehnjährige: zerzauste Haare, viel zu weites Hemd, dünne Beine. Dann
sah er die Narben auf ihren Armen. Er deutete darauf.
»Woher haben Sie die?«
»Sind Sie Arzt? Ich mag keine Doktorspiele. Mit dem Letzten, der es
versucht hat, wäre ich auch allein fertig geworden.«
»Das sah aber nicht so aus.«
»Was soll das?« Die Aggressivität in ihrer Stimme war unüberhörbar. »Was
machen Sie hier eigentlich? Ich habe Sie nicht gebeten, mir zu folgen. Und
sagen Sie jetzt nicht, dass das alles ein riesengroßer Zufall war.«
»Nein«, antwortete Quirin. »Genauso wenig wie Ihre Idee, Urlaub zu machen.
Obwohl ein paar Tage Ihnen bestimmt guttäten. Offenbar sind Ihnen auf dem
Friedhof in Sassnitz ja die Nerven durchgegangen.«
Sie schüttelte verächtlich den Kopf. Du hast keine Ahnung, hieß das.
»Ich habe Ihnen einen Rat gegeben. Sie sollten sich aus der Geschichte mit
Borg raushalten. Stattdessen machen Sie sich auf eigene Faust auf den Weg und
hinterlassen Trümmer. Warum?«
»Meine Sache.«
»Da irren Sie sich. Was wollen Sie in Malmö?«
Sie warf die Zigarette über Bord und wollte gehen. Quirin stellte sich ihr
in den Weg.
»Was haben Sie in Borgs Wohnung gefunden?«
»Nichts!« Die Antwort kam zu schnell, um wahr zu sein. »Lassen Sie mich in
Ruhe!«
»Sie kommen nicht weit. Nicht so.«
Er wies auf das rote T-Shirt und wusste im gleichen Moment, dass er das
nicht hätte tun sollen. Ihr Gesicht verschloss sich.
»Warum sind Sie mir gefolgt? Was ist so interessant an mir, dass Sie mir
sogar bis nach Schweden nachlaufen?«
»Verraten Sie es mir.«
»Nein, Sie.«
»So kommen wir nicht weiter.«
»Tja.«
Die glatte Freundlichkeit tarnte nur unzureichend die Wachsamkeit des
wilden Tieres, das jede Gelegenheit zur Flucht ergreifen würde. Quirin spürte
das. Er war wieder der Jäger, der kurz davor war, die Beute zu stellen, doch er
empfand bei ihrem Anblick weder Triumph noch Freude, sondern einfach nur Scham.
»Ich will Ihnen nichts tun. Ich will Sie begreifen. Ich kann Sie in ein
Hotel bringen und Ihnen mit dem helfen, was Sie vorhaben. Aber Sie müssen mit
offenen Karten spielen. Wenigstens bei mir.«
Er hatte ruhig und, wie er hoffte, überzeugend gesprochen. Sie
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