Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
Vom Netzwerk:
dachte
zumindest über sein Angebot nach, denn sie holte eine weitere Zigarette aus dem
Päckchen und ließ sich wieder von ihm Feuer geben. Es brauchte mehrere
Versuche, weil der Wind die Streichhölzer immer wieder ausblies. Als es endlich
gelungen war, lächelte sie.
    »Quirin Kaiserley.« Sie musterte ihn mit einem rätselhaften Blick aus
ihren dunkelblauen Augen. »Was, glauben Sie, befindet sich in meinem Besitz?
Seien Sie ehrlich. Dann bin ich es auch zu Ihnen.«
    Ohne zu überlegen, sagte er: »Mikrofilme.« Sie sah ihn an und blies den
Rauch in den Wind. »Mikrofilme«, wiederholte sie. »Ist das Ihr Ernst?«
    »Ja.«
    Sie ging zurück zur Reling, beugte sich über das Geländer und fing an zu
lachen.
     
    *
     
    Pfarrer Volfram Vonnegut fegte die ersten gelben Blätter vom Weg. Es hatte
nicht genug geregnet in diesem Sommer. Die Wolken kamen einfach nicht über die
See. Die Tiefausläufer ballten sie in weiter Ferne zusammen, sie entluden sich
weit im Süden, über Mecklenburg, Pommern und Ostpreußen, aber sie erreichten
nicht Skandinavien. Er konnte sich nicht erinnern, wann es zum letzten Mal eine
so lange Trockenperiode gegeben hatte.
    Er lehnte den Besen an einen Baumstamm und setzte sich auf eine Bank. Sein
Blick glitt mit Wohlgefallen über das hübsche Gemeindehaus. Es schmiegte sich
an die Sankta Anna Kyrkan, als wären sie schon immer unzertrennlich gewesen.
Dabei stammte es aus den sechziger Jahren. Die fast doppelt so alte
Kirchenfassade musste in ihrer geradezu schmucklosen Strenge für die damalige
Zeit avantgardistisch gewesen sein.
    Er freute sich auf den Sommerausflug am Wochenende. Die ganze Gemeinde
traf sich am Salsjön bei Bräkne Hoby, einem hübschen Waldsee ein wenig
außerhalb von Malmö. Die Kinder tobten sich bei Geländespielen aus, statt vor
dem Computer zu sitzen. Eltern und Großeltern trafen Freunde und Bekannte, jeder
brachte etwas zu essen mit, und er würde am Grill stehen. Neumitglieder wurden
willkommen geheißen und alte Beziehungen wieder aufgefrischt. Es war ein
funktionierendes und fruchtbares Gemeindeleben, und Volfram dankte dem Herrn jeden
Tag aufs Neue, dass er seinen Platz an diesem hübschen Fleckchen Erde finden
durfte.
    Das Telefon klingelte. Volfram stand auf, wobei er sich bemühte, seine
neue Hüfte nicht allzu sehr zu belasten. Die Operation vor ein paar Jahren war
glücklich verlaufen, doch seit einigen Monaten mehrten sich wieder die
Beschwerden, und sein Arzt befürchtete, dass es zu einem weiteren Eingriff
kommen könnte.
    »Ja, ja!«, rief er, als ob das Telefon ihn hören könnte.
    Er stieg die Stufe zum Eingang hoch und erreichte das kleine Büro. Auf dem
Tisch stand ein altmodischer Apparat, den Volfram gerne gegen eines dieser
mobilen Geräte ausgetauscht hätte, das ihm so manchen mühsamen Weg ersparen
würde. Weihnachten vielleicht. Rutger hatte doch einen dieser Elektromärkte
und fragte immer so nett. Man konnte ja schließlich schlecht nach dem
Gottesdienst erklären, die Kollekte der Woche sei für ein neues Gemeindetelefon
bestimmt.
    »Tyska Kerkan Malmö och Blekinge«, meldete er sich.
    Die Leitung rauschte. Das war bei diesen alten Apparaten so.
    »Spreche ich mit Volfram Vonnegut?«
    Obwohl die Stimme fremd klang, erkannte er sie sofort.
    »Ja«, antwortete er zögernd und wünschte sich, Gillis hätte das Gespräch
angenommen und wäre nicht gerade in der Küche, um das Abendessen für Madita
vorzubereiten.
    »Sie erinnern sich an mich?«
    »Es ist... lange her.«
    Die Stimme am anderen Ende der Leitung lachte. Der Ton wurde durch die
Membran künstlich verzerrt. Es hörte sich an, als würde ein Sturm über die
Ostsee fegen.
    »Ja, sehr lange. Wie geht es Ihnen?«
    »Gut«, antwortete er. Und weil ihm nichts Besseres einfiel: »Meine Hüfte.
Man ist nicht mehr der Jüngste.«
    »Die Zeit ist ein Mörder, der keinen verschont. Es freut mich, dass es Sie
noch gibt. Wir werden immer weniger.«
    »Ich ... bin eigentlich nicht mehr aktiv.«
    Eine kleine Pause entstand. Volfram hätte gerne aufgelegt. Aber er wusste,
dass er damit das Problem nicht aus der Welt schaffen würde.
    »Ich bin ein alter Mann. Alles hat sich verändert. Ich auch.«
    »Sie sind immer noch Pfarrer. Ein Hirte, der sich um die Sorgen und Nöte
der Mitmenschen kümmert. Und die äußern sich nun mal auf vielfältige Weise.«
    »Es war damals eine Frage der Menschlichkeit, nicht der Politik. Das
deutlich zu machen ist mir offenbar nicht gelungen.«
    Er hoffte, das

Weitere Kostenlose Bücher