Herrmann, Elisabeth
Ja.«
Die junge Frau stellte zwei Gläser vor ihnen ab und brachte es fertig,
dabei fast die Hälfte zu verschütten. Sie entschuldigte sich wortreich.
»Det gör
detsamma«, sagte Kaiserley. »Du kan
inte hjälpa det. Tack.«
Er griff nach dem Ständer mit den Papierservietten und beseitigte das
Malheur, während die Studentin schon wieder davoneilte.
»Sie können Schwedisch?«
»Eine der wichtigsten Fremdsprachen für Leute in meinem Job.«
»Was ist denn eigentlich Ihr Job?«, fragte Judith. »Ich dachte, der BND
hat Sie rausgeschmissen.«
Kaiserley hob ihr Glas und deponierte eine weitere Serviette darunter.
»Wir haben uns in gegenseitigem Einvernehmen getrennt. «
»Und warum hängen Sie sich dann so in diese Sache rein?«
»Das ist zur Abwechslung mal meine Privatsache.«
Judith schwieg. Sie hob umständlich ihr Glas und trank einen Schluck von
der lauwarmen Milch, deren einzige Gemeinsamkeit mit Kaffee darin bestand, mal
neben einem gestanden zu haben.
»Sie haben etwas gefunden, und ich will wissen, was das ist.«
Seine Stimme klang hart. Judith überlegte, ob er auch Verhöre geführt
hatte und in was Agenten ausgebildet wurden. Lautloses Töten, spurloses
Verschwinden, taktisches Verhalten, psychologische Kriegsführung. Sie wusste
nicht, auf welchen Gebieten Kaiserley operiert hatte, und nahm zu ihrem Schutz
das Schlimmste an.
Sie setzte das Glas ab. »Wenn ich Ihnen weiterhelfen soll, will ich
wissen, was Sie vorhaben.«
»Das sagen ausgerechnet Sie?«
»Eine Information für die andere.«
Er riss ein Zuckertütchen auf und schüttete den Zucker in sein Glas.
»Okay. Ich war schon bei der Polizei, also kann ich es genauso gut an die
Presse geben oder Ihnen erzählen. Ich glaube, Borg wurde ermordet, weil sie
Mikrofilme hatte. Hochbrisantes Material. Originale aus den achtziger Jahren,
die lange Zeit verschollen waren. Wir hatten angenommen, dass die Stasi sie
gefunden und vernichtet hat.«
»Die Stasi.« Judith schüttelte den Kopf und hob ihr Milchglas. »Wann soll
das denn gewesen sein?«
»Im August 1985.«
Das Glas rutschte ihr aus den Händen. Sie fing es gerade noch rechtzeitig
ab, es schwappte nur etwas über. Kaiserley sah sie lange an.
»Sagt Ihnen der Name Rosenholz etwas?«
»Nein.«
»In den Rosenholz-Dateien stehen die Namen der Auslandsspione der Stasi.
Die Liste ist bis heute lückenhaft. Borg hatte das einzige existierende
vollständige Original.«
»Woher ... woher wissen Sie das?«
»Borg hat mir die Filme gezeigt. Dreitausend Namen, Adressen, Klarnamen,
Nato-Top-Secret-Informationen. Mit Registriernummer, Aktennummer, den
verwaltungstechnischen Angaben, der Postleitzahl unter den bürgerlichen Daten
eines Agenten ...«
»Und warum sind die heute noch so wichtig?«, unterbrach Judith seine
Aufzählung. Er war kaum noch zu stoppen, wenn er einmal mit seinen Geheimdienstgeschichten
angefangen hatte. »Das ist mindestens genauso kalter Kaffee wie der hier. Sind
diese Dinge denn nicht schon längst verjährt?«
»Mord verjährt nicht.«
»Welcher Mord? Christina Borg ist doch erst...«
Sie brach ab, weil er plötzlich die Hand hob und sich umsah. Mit einem Mal
verlor er die fast gönnerhaft wirkende Selbstsicherheit, mit der er sie bisher
behandelt hatte.
»Still«, sagte er.
Sein Blick scannte die Sitznachbarn, das Markisengelenk über ihnen, die
Laterne auf der anderen Seite der Straße. Klassischer Fall von Verfolgungswahn.
Judith trank noch einen Schluck lauwarme Milch und sah sich ebenfalls um. Und
da bemerkte sie es. Ein Pärchen stand Arm in Arm vor einer Schaufensterscheibe.
Oder beobachteten sie Kaiserley in der Spiegelung? Ein älterer Herr zwei Tische
entfernt hob genau in dem Moment die Zeitung vor sein Gesicht, als sie ihn
ansah. Weil er unerkannt bleiben wollte? Ein paar Schritte weiter, im
Erdgeschoss eines hübschen Backsteinhauses, befand sich eine Bankfiliale mit Geldautomat.
Hatten die nicht alle Kameras? Richtete sich das unsichtbare Auge gerade auf
sie?
Das Pärchen ging weiter, der Mann mit der Zeitung las, und der Geldautomat
war viel zu weit entfernt. Kaiserley hatte sich wieder abgeregt. Er beugte sich
vor und sprach sehr leise.
»Mitte der Achtziger wurde in Sassnitz eine Republikflucht verraten.
Keiner hat je erfahren, von wem. Bis vor ein paar Tagen nahm ich an, dass
keiner diese Sache überlebt hat.«
»Und jetzt?«
»Jetzt?« Kaiserley senkte seine Stimme noch mehr, sie konnte ihn kaum
verstehen. Wieder sah er sie an mit
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