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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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Fellachenfamilie ist die dritte. Ein Alter mit zwei Söhnen. So weit einverstanden? Und ich geh mal davon aus, dass zum fraglichen Zeitpunkt nur die beiden Söhne in der Scheune waren. Vielleicht auch der Alte, aber mit Sicherheit die Söhne. Der Flaschenzug-Sohn und der Moped-Sohn. Und jetzt kommst du. Du bist auf der Flucht vor diesen Männern hier, und dann stürmst du mit etwas, das aussieht wie ein Sturmgewehr, in etwas, das aussieht wie eine Schwarzbrennerei. Ich nehme an, der Empfang wird nicht allzu herzlich gewesen sein. Du bist hektisch, weil deine Verfolger hinter dir her sind, die Söhne sind hektisch, weil sie Schwarzbrenner sind, und du fuchtelst mit diesem Gewehr herum, das, wie du selbst sagst, auch aus der Nähe täuschend echt aussieht. Ist es in der Scheune dunkel oder hell? Es ist dunkel. Du hast also ein AK-47 dabei, und ganz egal, was du ihnen erzählst, sie wissen, dass es Schwierigkeiten gibt. Vielleicht bittest du um Hilfe, vielleicht drohst du ihnen sogar. Und vielleicht sehen sie auch schon deine Verfolger anrücken, die sie für deine Kumpane halten, und ziehen dir prophylaktisch eins von hinten über. Mit einer leichten Platzwunde hieven sie dich auf den Dachboden … oder vielleicht bist du auch selbst auf den Boden geklettert, und sie kriegen dich erst dort zu fassen und ziehen dir da eins über, egal. Und jetzt geraten sie richtig in Panik. Einem den Schädel demoliert, drei weitere im Anmarsch. Also schnappt sich Sohn Nummer eins das Moped und rast in die Wüste. Vielleicht, um Hilfe zu holen, vielleicht auch nur, um zu fliehen. Egal. Und als deine Verfolger die Scheune erreichen, ist nur noch Sohn Nummer zwei da, den sie fragen, wo Cetrois hin ist, und der nicht antwortet. Weil er ja auch nichts weiß. Und da schlagen sie ihm mit dem Wagenheber den Schädel ein, wie sie kurz darauf stolz dem Vierten vermelden. Während du oben bewusstlos liegst und der Moped-Mann dir praktisch das Leben rettet. Denn dem jagen sie als Nächstes nach. Vermutlich erwischen sie ihn auch, hier hinten irgendwo, merken, dass es der Falsche ist, kommen zurück und suchen dich. Aber Monsieur Cetrois ist mittlerweile abgehauen, und die Bilanz für den alten Fellachen lautet: ein Sohn erschlagen, einer verschollen. Alle Rätsel gelöst.»
    Helen trank den letzten Schluck Kaffee und ging in die Küche, um neuen aufzusetzen.
    Verwirrt betrachtete Carl die Zeichnung, die Helen so gründlich mit Pfeilen und Kreuzen bedeckt hatte.
    «Und das Holzgewehr? Warum lauf ich mit einem Holzgewehr durch die Wüste?»
    «Ich würde vorschlagen, dass du dich das mal selber fragst.»
    Carl versuchte, in Gedanken alles noch einmal durchzugehen. Er zählte die Strichmännchen, er nahm den Kugelschreiber in die Hand und las die Aufschrift «Sheraton». Die Sicherheit und Leichtigkeit, mit der Helen über alle seine Einwände hinweggegangen war, kränkte und verwirrte ihn. Es fiel ihm schon schwer, sich das Ganze im zeitlichen Ablauf vorzustellen. Wieso konnte Helen so mühelos diese Puzzleteile zusammensetzen? Und konnte sie das wirklich? Er fühlte sich verpflichtet, einen Fehler zu finden. Mit dem Finger auf das Strichmännchen deutend, das ihn selbst darstellte, sagte er: «Als ich bei Adil Bassir war, hat er von zwei Männern gesprochen.» Er vermied das Wort Würstchen. «Zwei Männer, ich und mein Partner.»
    «Der muss ja nicht dabei gewesen sein.»
    «Nein … aber bisher dachte ich immer, dass Cetrois mein Partner ist. Wenn ich Cetrois bin, wer ist dann mein Partner?»
    «Ist das jetzt eine wichtige Frage?» Helen schraubte die Kaffeedose auf und suchte nach dem Dosierlöffel. «Oder können wir uns kurz der Frage zuwenden, ob es wirklich Schulkinder waren, die dir den Blazer geklaut haben?»
    «Ich weiß nicht, was dich so sicher macht.»
    «Und wie die aussahen.»
    «Vergiss doch mal die Kinder! Was hast du immer mit diesen Kindern? Die findest du sowieso nicht wieder.»
    «Ich kann dir sagen, was ich mit denen habe. Weil es nämlich meines Wissens in solchen Slums gar keine Schulen gibt.»
    «Und wie bist du da überhaupt draufgekommen?», fragte Carl, ohne auf Helens Einwand einzugehen. Er hob die Zeichnung hoch und schlenkerte sie durch die Luft.
    «Weil auch die Personenbeschreibung stimmt. In der Kommune. Fowler und die anderen haben ziemlich genau einen Mann wie dich beschrieben. Karierter Anzug, schlank, dreißig Jahre und eins fünfundsiebzig. Arabischer Einschlag. Wobei das auch alles war, was sie wussten. Mehr

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