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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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zu und zog dann ein Paar grüner Gummihandschuhe, eine dicke, arabische Tageszeitung und eine Flachzange aus ihrer Tasche, welche sie alle dem Syrer gab.
    Der Syrer faltete die Zeitung auseinander, nahm den Sportteil heraus und breitete die restlichen Teile sorgfältig auf dem Boden aus.
    «Wie geht es dir?», fragte Helen und zog noch eine schwarze Plastikflasche heraus. «Hast du Durst?»
    Sie schraubte die Flasche auf, roch an der Öffnung und reichte sie weiter an Cockcroft, der ebenfalls daran roch. Dann gingen sie zu dritt – Helen, Cockcroft und der Bassist – vor die Tür. Obgleich die Tür nicht fest schloss, konnte Carl kein Wort ihrer Unterhaltung verstehen. Als sie zurückkamen, gab Cockcroft dem Syrer ein Zeichen. Der riss sich von den unerfreulichen Ergebnissen der Primera Division los, stopfte den Sportteil in seinen Hosenbund und stellte sich hinter den Baststuhl. Mit Händen wie ein Schraubstock umklammerte er Carls Kopf. Der Bassist griff Carl von vorn unters Kinn, und Helen setzte ihm die schwarze Flasche an die Lippen, während sie ihm gleichzeitig die Nase zuhielt.
    «Mund auf. Mund auf. Mund auf. Schmeckt nicht gut, ist aber nicht giftig.»
    Es schmeckte wirklich nicht gut. Und es war wirklich nicht giftig. Irgendwas streng Medizinisches. Bitter. Seifengeschmack.
    Als sie ihm den Inhalt der Flasche zu großen Teilen eingeflößt hatten, ließen sie ihn los und traten rasch zurück. Carl gab einen Schwall gelblicher Flüssigkeit von sich, und während er noch schluckte und hustete, lösten sie seine Fesseln. Kraftlos rutschte er zu Boden. Sie befahlen ihm, sich auszuziehen, aber seine roten und blauen Arme gehorchten ihm nicht mehr. Sie beugten sich über ihn und zogen ihn aus. Dann zerrten sie ihn zu den ausgebreiteten Zeitungen und versuchten, ihn eine Hockstellung darauf einnehmen zu lassen. Aber er kippte immer wieder um. Schließlich hielt der Syrer ihn mit einer Faust am Schopf hoch. Sie schwankten zusammen hin und her.
    Helen wischte ein paar Spritzer von ihrer Bluse. Cockcroft zerknüllte eine leere Zigarettenschachtel. Der Bassist krempelte seine Ärmel auf.
    «Soll ich dich mal ablösen?»
    «Wie lange braucht das denn?»
    «Was steht denn auf der Flasche?»
    «Spürst du schon was?»
    «Nichts.»
    «Gib mal die Flasche.»
    «Spürst du schon was?»
    «Wann war er denn zuletzt?»
    «Ja, gar nicht.»
    «Und davor?»
    «Am Tag vorher. Und danach nicht mehr. Wenn ihr aufgepasst habt.»
    «Und jetzt guck dir das an. Guck dir das an. Oha.»
    Während Carl seinen Darminhalt über Hacken und Zeitung verteilte, schüttelte der Syrer ihn an den Haaren hin und her wie eine Tasche, die man ausleeren will.
    Etwas später löste sich der Griff, und Carl kippte schlaff zur Seite. Seine Stirn schlug auf. Er rührte sich nicht mehr. Direkt vor seinem Auge bewegten sich kleine schwarze Punkte. Ameisen. Er hörte ein schnappendes Geräusch und sah über die wehenden Fühler hinweg, wie der Bassist sich die grünen Gummihandschuhe überstreifte. Carl hatte sich lange beherrscht, jetzt fing er an zu weinen.
    Mit einem Taschenmesser begann der Bassist, im Kot herumzustochern. Tief in der Hocke vor der Zeitung, beide Arme zwischen den Knien herabhängend, schnitt er mit der Klinge kleine Stücke von der Kotwurst ab und strich sie auf dem Papier daneben aus, wie man ein Brot schmiert.
    Cockcroft, Helen und der Syrer standen mit vor der Brust verschränkten Armen hinter ihm wie Spielkameraden. Dass sie sich über etwas hermachten, was eben warm und stinkend seinen Körper verlassen hatte, erfüllte ihn mit einer sonderbaren Wehmut. Es lag etwas Symbolisches in diesem Vorgang, etwas Grauenvolles, die dunkle Ahnung, dass sie auch andere Teile und Güter seines Körpers von ihm trennen und in Besitz nehmen könnten. Carl wandte den Blick wieder den Ameisen zu.
    Nachdem der Bassist den Kot auf der ganzen Zeitung wie auf einem großen Nutella-Brot ausgestrichen hatte, verkündete er mit dem Gesichtsausdruck und im Tonfall eines Achtjährigen: «Hier ist nix», und drei blaue und ein schwarzes Augenpaar wanderten zu dem Mann, der nackt und schniefend auf dem Boden lag.
    Helen schob Carl mit dem Fuß seine Kleider zu, und nachdem er sich mehr oder weniger allein wieder angezogen hatte, banden sie ihn erneut auf den Stuhl.
    «Dann weiter mit der Zwei», sagte Cockcroft. Und zu Helen: «Ihr Mann.»

    DIE LEGENDEN DER STANDHAFTEN
     
    There has been a good deal of discussion of interrogation experts vs. subject-matter

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