Herrndorf, Wolfgang - Sand
entsetzliches Röcheln, ganz anders als das zuvor, entrang sich der Kehle des Fellachen.
Sein Gegenüber drehte sich um und sah, was der Fellache sah. Neben Gerümpel und Maschinenteilen lag zwischen zwei Stellwänden im Halbdunkel ein Mann. Ein Mann in einer weißen Dschellabah, die Gliedmaßen eigenartig verrenkt. Auf seinem zerschmetterten Kopf lag der Block des Flaschenzugs mit dem gewichtigen Metallhaken. Die ölige Kette ringelte sich durch Blut und Gehirn. Der Dreizack schob sich ins Bild. Es schien nicht der richtige Moment, dem Mann etwas von Amnesie zu erzählen. Eine frische Leiche, vier bewaffnete Männer in einem Jeep, ein irr blickender Fellache mit Mistgabel: Die Situation war unübersichtlich. Er stieß die Mistgabel beiseite und rannte. Rannte durch das Scheunentor, an den Baracken vorbei, in die Wüste. Und rannte.
UNTER DÜNEN
Not wasteland, but a great inverted forest with all foliage underground.
Salinger
Die Richtung ergab sich aus der Lage des Scheunentors: einfach geradeaus, in direkter Linie von den Gebäuden weg. Er lief eine Düne hinauf, kam ins Straucheln, warf sich über den Kamm. Rutschte fünfzehn Meter in die Tiefe, sprintete durch das Wellental und stampfte die nächste Leeseite hinauf. Im Lee waren die Dünen steil, man versank bis zu den Knien. Die Luvseite war flach und fest. Die umgekehrte Richtung wäre einfacher gewesen, aber sie wäre auch für seinen Verfolger einfacher gewesen.
Er sah sich um: Niemand folgte ihm. Schon völlig außer Atem lief er langsamer. Schräg vor ihm tauchte in einiger Entfernung eine Reihe von Pfählen auf, vielleicht Telegraphenmasten, eine Straße. Er hielt darauf zu und hörte von irgendwoher ein Summen. Im ersten Moment war es wie das Summen in den eigenen Ohren, aber er gab sich keinen Illusionen hin. Es war das Geräusch eines sich nähernden Dieselmotors. Wahrscheinlich hatten sie Cetrois nicht erwischt, jetzt wollten sie ihn. Oder sie hatten Cetrois erwischt. Und wollten ihn auch noch.
Er rannte. Zwanzig oder dreißig Wellentäler entfernt spritzte der Jeep über eine Düne, hing mit allen vieren einen Moment in der Luft und sackte mit heulendem Motor aus dem Bild.
Geduckt bog er scharf nach links in ein sich dahinschlängelndes Wellental, nahm im Laufen einen faustgroßen Stein auf und ließ ihn wieder fallen. Was wollte er damit? Ihnen den Revolver aus der Hand werfen? Die Nachmittagssonne brannte in sein Gesicht. Er blieb stehen. Er keuchte. In seinen eigenen Fußstapfen ging er zehn Schritte zurück und drehte sich um: albern, der Unterschied war sofort zu erkennen. Das Motorengeräusch schwoll im Rhythmus der Wellentäler an und ab. In nun kopfloser Panik stürzte er eine Düne hinauf und auf der gleichen Seite wieder hinunter und betrachtete das Ergebnis. Dann rannte er kreuz und quer durch das ganze Tal und ein kleines, angrenzendes Tal, bis sie nach allen Seiten hin bedeckt waren mit Spuren.
Zwei flache Felsscheiben steckten wie in einem Toaster senkrecht nebeneinander im Sand. In ihrem Windschatten hatte sich eine tiefe Rinne gebildet. Er warf seinen Körper dort hinein, den Kopf zwischen den Felsen, und schaufelte Sand über Beine und Rumpf. Die Arme scheuerte er seitlich in den Boden. Es war nicht schwierig, von den Schrägen rutschten kleine Lawinen auf ihn herab. Zuletzt rotierte er den Kopf zwischen den Felsscheiben hin und her. Er spürte seine Kopfwunde aufbrechen, die Schmerzen waren phänomenal. Von oben fiel Sand über sein Gesicht und rieselte ihm in die Ohren. Das Geräusch des Dieselmotors verstummte. Er hörte nur noch sein eigenes Keuchen. Er hielt den Atem an und blinzelte. Von seinem Rumpf schien nichts mehr frei zu liegen. Über den Sand auf seinem Körper hinweg sah er das Wellental, die Flanke der gegenüberliegenden Düne und verräterische Spuren überall ringsum. Sein Blickwinkel war durch die Steinplatten stark eingeschränkt. Umgekehrt war sein Gesicht jetzt nur noch zu sehen, wenn man direkt vor ihm stand. Aber es war noch zu sehen.
Er holte tief Luft, schloss die Augen und rotierte den Kopf noch einmal hin und her. Eine weitere Ladung Sand rutschte von oben über seine Stirn bis zum Jochbein und stäubte als feiner Puderzucker über Augenlider, Wangen und in die Mundwinkel. Er hatte einen nur sehr ungefähren Eindruck davon, wie viel vom Gesicht jetzt noch frei lag. Wahrscheinlich das Kinn und die Nasenspitze. Aber jetzt konnte er den Kopf nicht mehr drehen. Mit einem kleinen Stoß pustete
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