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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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rum? Er sagt, er läuft hier nicht einfach so rum … nein, er läuft hier nicht einfach so rum! Willst du ‘n Schluck Bier? Soll keine Beleidigung sein, wir sind ja Christen. Aber immerhin kann er Englisch. Im Ernst, du bist der Erste, der Englisch kann. Die ganzen Kaffern – pardon my French. Aber wie stellst du dir das vor? Guck dir die Rückbank doch an. Ja, geht es nicht für uns alle um Leben und Tod? Natürlich versteh ich das. Aber du musst auch uns verstehen. Das Gesetz der Wüste. Mal angenommen, du hast ein Messer unter der Kutte? Natürlich nicht! Wer würde das denn vorher sagen, dass er ein Messer unter der Kutte hat, wenn er einem die Gurgel durchschneiden will? Aber ich sag mal, Vorsicht ist die Mutter. Und wenn jetzt einer hier so rumläuft und erzählt was von: weiß nicht, wer er ist und wo er hinwill und volle Kanüle den Schädel eingeschlagen – ich mein, was ist los, Mann? Nehm ich dir nicht ab. Nimmst du ihm das ab? Fahr doch mal langsamer. Schluck Bier?»
    Sie rollten im ersten Gang neben ihm her. Einmal griff er nach der hingehaltenen Bierdose, aber sie wurde weggezogen. Schließlich blieb er erschöpft und völlig außer Atem stehen und sah dem Cinquecento nach, der leise knirschend davonglitt. Fünfzig Meter. Und dann ebenfalls stehen blieb. Der Fahrer stieg aus, machte Dehnübungen und winkte. Flirrende Hitze trennte seinen Arm vom Körper, die Füße schwebten zwanzig Zentimeter über dem Boden. Mittlerweile war auch der Beifahrer ausgestiegen. Er öffnete die Hose, pinkelte in den Sand und unterhielt sich über die Schulter hinweg mit dem Fahrer. Sie lachten. Dann winkten sie wieder.
    Sein Verstand sagte ihm, dass sie ihn nur veralbern wollten. Wahrscheinlich würden sie wieder einsteigen und wegfahren, sobald er sich näherte. Aber irgendetwas ließ ihn sonderbarerweise auch denken, dass das Freunde von ihm waren.
    Der Ausdruck auf ihren Gesichtern war auf so befremdliche Weise aufmerksam und gleichzeitig heiter und offen, dass er das Gefühl nicht loswurde, sie müssten alte Freunde oder Bekannte sein, die den Ernst der Lage nicht begriffen. Entweder das, oder sie waren Verrückte. Aber nach Verrückten sahen sie eigentlich nicht aus. Zögerlich ging er auf die beiden zu. Die Hoffnung und der Wunsch, sie möchten seine Freunde sein, wurden so übermächtig, dass es aus ihm herausplatzte.
    «Kennen wir uns? Wir kennen uns!», rief er.
    «Ja», sagte der Beifahrer und streifte sich ein T-Shirt aus Knüllbatik über. «Seit eben. Aber ist das wirklich dein Ernst? Du weißt nicht, wer du bist?»
    Er nickte.
    «Und wie lange weißt du das schon nicht?»
    «Seit ein paar Stunden.»
    «Hast du kein Portemonnaie?»
    Darauf war er überhaupt noch nicht gekommen. Er griff sich unter der Dschellabah an die Gesäßtasche seines Anzugs. Unfassbar. Ein Portemonnaie. Er raffte die Dschellabah hoch, um das Portemonnaie herauszuziehen, und als er wieder aufblickte, war ein Springmesser auf sein Auge gerichtet. Der Beifahrer nahm ihm das Portemonnaie aus der Hand.
    «Wenn wir dir helfen und dich mitnehmen, musst du uns auch bisschen helfen. Benzin und so. Ist das okay für dich? Kleine Unkostenbeteiligung?» Er klappte das Portemonnaie auf, in dem ein Bündel Geldscheine und verschiedenfarbige Karten steckten, nahm die Scheine heraus und warf den Rest in den Sand. Sein Kumpel lächelte. Er hatte riesige Pupillen.
    «Geht doch, Mann. Das sieht doch gut aus. Ich würde vorschlagen, wir fahren dann jetzt Benzin kaufen und Sachen abladen und alles. Und dann kommen wir wieder. Du wartest hier, okay? Vielleicht kannst du dich ein bisschen sauber machen in der Zwischenzeit. Du siehst ja aus wie ein Schwein.»
    «Ich glaub, der hat nicht nur sein Gedächtnis verloren, Sprechen wird auch immer schwieriger.»
    Sie drehten seinen Kopf mit der Messerspitze hierhin und dorthin, und dann befahl ihm der Fahrer, auf allen vieren herumzukriechen und wie ein Schwein zu grunzen. Er kroch auf allen vieren herum und grunzte wie ein Schwein. Der eine fragte, warum ihm das keine Probleme bereite, und der andere wollte wissen, ob Schweine nicht unrein seien bei den Arabern. Viel Phantasie hatten sie nicht. Sie gaben ihm noch einen Tritt in die Seite und gingen schließlich zum Auto zurück. Der Fahrer ließ den Motor an, der Beifahrer stellte seinen Fuß aufs Trittbrett, hielt Messer und Geldscheine unschlüssig in der Hand und sah sich um.
    Aus Angst, sie könnten es sich doch noch mal überlegen und ihn schwerer

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