Herrndorf, Wolfgang - Sand
sich bäuchlings in den Sand. Quineau, Quenton. Schlumberger. Quatremere. Chevalier. Die Reihe von Namen riss überhaupt nicht ab.
Als Nächstes fiel ihm noch das G ein, und er bekam einen Tobsuchtsanfall. Er kniete sich hin und zeichnete mit dem Finger das Alphabet in den Sand, um sicherzustellen, dass er keinen weiteren Buchstaben übersehen hatte. C, G, O, Q und S. Das war alles. Er taumelte voran. Wenn er die Schienen demoliert, wenn der Lawinenhund sich rührt, wenn man die Bienen exportiert… Heiß brannte die Sonne über der Sahara.
IM LAND DES OUZ
Weibliche Neunen halten sich häufig für Zweien.
Ewald Berkers
Helen hielt das Telefon minutenlang an ihr Ohr, ohne ein Wort zu sagen. Als auf der Gegenseite nur noch Schluchzen zu hören war, fragte sie: «Soll ich trotzdem kommen?»
Gegen Mittag fand sie den Autoverleih, den der Rezeptionist des Sheraton ihr beschrieben hatte. Das war jedenfalls das Wort gewesen, das er gebraucht hatte: Autoverleih. Man hätte auch Schrottplatz sagen können. Ein Ochsenkarren und ein rostiger Honda-Pick-up waren die einzigen Fahrzeuge auf dem Hof, um den herum sich abgeschliffene Karosserien stapelten.
In einem Bretterverschlag saß ein Dreizehnjähriger zusammengesunken vor einer Schischa. Die Anwesenheit der blonden Frau belebte ihn augenblicklich. Er sprang auf, machte ausladende Gesten und redete mit einem merkwürdig altertümlichen Akzent auf sie ein. Was er mitzuteilen hatte, war weniger erfreulich. Der Honda war kaputt, den Ochsenkarren (inklusive Ochsen und Fahrer) wollte Helen nicht mieten, und die Frage, wann wieder ein Wagen zur Verfügung stehe oder wie viele Wagen der Verleih überhaupt besitze, konnte der Junge nur mit einem Kopfwiegen beantworten. Helen erkundigte sich, ob es in der Nähe noch einen anderen Autoverleih gebe, und erfuhr, am Flughafen würden Limousinen vermietet. Die Wahrscheinlichkeit, dort ohne Reservierung ein Fahrzeug zu bekommen, sei jedoch gleich null.
«Und was fehlt dem da?» Helen zeigte aus dem Fenster.
Bedächtiges Kopfwiegen, gepaart mit Augenbrauenhochziehen. Der Junge führte Helen hinaus, setzte sich in den Pick-up und drehte den Zündschlüssel. Unter der Motorhaube des Honda klickte es.
«Mechaniker kommt. Wahrscheinlich. Zwei Wochen.»
Helen unternahm einen zweiten Versuch, herauszufinden, wie viele Wagen der Verleih besaß, erhielt so wenig Antwort wie zuvor und fragte stattdessen nach Werkzeug. Unter seinem Tisch hatte der Junge ein Set verbogener Schraubenschlüssel, Zange, Hammer, Bürsten. Helen schleppte alles zum Honda. Eine Weile zwang sich der Junge, bedächtig kopfwiegend danebenzustehen, schließlich ertrug er den Anblick nicht mehr und ging zurück in seine Bretterbude. Eine Frau. Eine blonde Frau! Das würde er niemandem erzählen können. Er suchte Holzkohle, Nakhla und Streichhölzer zusammen, entzündete die Schischa erneut und blies den Rauch aus dem kleinen Fenster über den Hof.
Hin und wieder hörte er amerikanische Flüche hinter der hochgeklappten Kühlerhaube hervordringen, er hörte Hammerschläge auf Metall, das leise Klicken des Magnetschalters in der Mittagshitze und, als die Kohle in seiner Schischa bereits verglühte, ein Motorengeräusch. Kurz danach trat die mit Öl und Dreck verschmierte Frau in die Bretterbude. Sie warf das Werkzeug auf den Tisch, nahm ihr Portemonnaie heraus und sagte mit einer an Blasiertheit nicht zu überbietenden Stimme: «Ich brauch ihn eine Woche. Wie viel?»
Soweit Helen wusste, gab es einen kurzen, unsicheren und einen langen, sicheren Weg auf die Piste nach Tindirma. Sie hatte Zeit. Kilometerweit fuhr sie die Hauptstraße nach Norden bis an den Fuß der Berge, wo die Stadt ausdünnte und ein einsames Straßenschild die Abzweigung anzeigte. Ein paar hundert Meter ging es durch trockene Vegetation. Auf Sanddünen mit Salzpflanzen folgten Sanddünen ohne Salzpflanzen, und den Eingang zur Wüste markierte eine riesige, geometrische Skulptur zweier aus Ziegeln gemauerter Kamele, deren Mäuler sich hoch oben in der Luft über der Piste berührten.
Auch wenn man vorher nie eine Wüste gesehen hatte, wurde es schnell langweilig. Es war die Zeit der größten Mittagshitze, und Helen begegnete keinem einzigen Fahrzeug. Hier und da lagen Autowracks im Sand versunken wie verendete Insekten, heruntergefressen bis auf das Metall, die Türen gespreizt wie Flügel.
Nach zwei Stunden erreichte sie eine Tankstelle mit einer einzigen Zapfsäule. Kurz dahinter lag
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