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Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur

Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur

Titel: Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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(also z. B. zusätzliches Vieh aus Zucht oder Einkünfte aus dem Verleih von Rindern oder Schafen zu Zuchtzwecken) darf nicht angetastet werden. Stirbt einer der Ehepartner, dann erhält der Hinterbliebene sowohl den gemeinschaftlichen Besitz als auch den daraus entstandenen Gewinn. Im Fall der Scheidung wird die Mitgift wieder ausgesondert, der Gewinn geteilt und jeder geht seiner Wege.
    Apropos Scheidung. Generell werden bei den Kelten Ehen nicht für die Ewigkeit geschlossen. Beliebter Hochzeitstermin ist der 1. Mai, das keltische Fest des Sommerbeginns; als Scheidungstermin favorisieren die Kelten passenderweise den 1. November, das Fest des Winterbeginns, der Tag, an dem alles Überlebte untergeht. Das soll nicht heißen, dass es nicht Ehen gibt, die sehr lange halten, wahrscheinlich sind sie sogar die Regel. Aber wenn die Grundlage der Gesellschaft eine von den Göttern gewollte Ausgewogenheit und Harmonie ist, dann löst man eben auch auf, was nicht funktioniert. Ein wichtiger Scheidungsgrund ist anhaltende Kinderlosigkeit, denn letztlich muss der Bestand des Volkes gesichert werden. Umso wichtiger ist ein System der Besitzstandswahrung wie das hier praktizierte, das zwei Ehepartner nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen zum Zusammenbleiben zwingt. Eine Eheschließung aus rein materialistischen Gesichtspunkten ist faktisch ausgeschlossen. Nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern durchaus üblich sind dagegen strategische Hochzeiten. Wie in allen Wettbewerbsgesellschaften heiraten auch die Kelten, um Allianzen zu festigen oder um Dynastien zu erhalten.
    Zumindest in höheren Kreisen ist es hier und da üblich, den Kreis der Ehepartner zu erweitern, auch wenn Polygamie nicht die Regelist. Ein deutliches Zeichen dafür, dass keltische Frauen durchaus einen sehr hohen Status erlangen können, sind die – zugegebenermaßen wenigen – überlieferten Fälle, in denen die weibliche Linie so bedeutend ist, dass sich mehrere Männer eine Frau teilen.
    Das führt uns zum Thema Moral. Warum es ausgerechnet römische Frauen sind, die sich abfällig über die Freizügigkeit keltischer Frauen äußern, wird wohl angesichts des von käuflicher Liebe geprägten Nachtlebens der ›Ewigen Stadt‹ eines der großen Mysterien der Sittengeschichte bleiben. Vielleicht ist der Eindruck der Promiskuität bei den Keltinnen das Ergebnis der Erzählungen über die bereits erwähnten schnelllebigen Ehen, vielleicht stößt sich auch nur die eine oder andere daran, dass die angeblich so unzivilisierten Barbarinnen deutlich offener mit ihrer Sexualität umgehen. Oder ist frustriert deswegen. Wie dem auch sei: Bei aller Offenheit ist eine keltische Ehefrau eine Ehefrau. Kaum ein Beispiel zeigt das drastischer als das der Chiomara, Gemahlin des kleinasiatischen Galaterkönigs Ortiagon. Diese gerät um 190 v. Chr. in die Gefangenschaft der römischen Legionen unter Konsul Lucius Manlius Vulso. Ihr Schicksal ist einige Zeit lang ungewiss, doch dann taucht sie unerwartet im Lager der sich gegen die vorrückenden Legionen sammelnden Galaterstämme auf …
    Der Kreis der Galater öffnet sich und Ortiagon tritt auf seine Frau zu. Die aufgeregten Stimmen der Umstehenden verstummen. Man sieht Ortiagon an, dass er Mühe hat, sich selbst zur Ruhe zu zwingen. Der Bart über seinem Mund zuckt, und seine Augen verraten, dass er am liebsten auf Chiomara zustürzen und sie in seine Arme reißen würde. Doch er ist der König der Tolistobogier. Er darf seine Gefühle nicht zeigen wie der gewöhnliche Krieger. Und so steht er nur da und wartet darauf, dass seine Frau zu ihm spricht.
    »Ich grüße dich, Ortiagon, König der Tolistobogier und geliebter Mann«, beginnt Chiomara. Ortiagon kneift für den Bruchteil eines Moments die Augen zusammen. Ist da bei den letzten Worten ein leichtes Zittern in ihrer Stimme gewesen?
    »Ich bin glücklich, dich gesund und unversehrt wiederzusehen«, erwidert er. »Die Müdigkeit, die aus deinen Augen spricht, zeigt mir, dass ein langer, anstrengender Weg hinter dir liegt. Nichtsdestoweniger möchten wir natürlich die Geschichte deiner Flucht aus der römischen Gefangenschaft hören.« Er dreht sich um und gibt ein Zeichen. Mit einer einzigen Bewegung lassen sich alle Umstehenden auf dem Boden nieder.
    Das ist keine Nacht zum Schlafen. Und Chiomara beginnt zu erzählen …
    »Die Römer hatten keine Schwierigkeiten, uns nach der Niederlage gefangen zu nehmen. Die meisten der Frauen waren bei den Kindern, Alten und

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