Herrscher des Lichts - Sanderson, B: Herrscher des Lichts - The Hero of Ages, Mistborn 3
schützen. Sie hatte sich gezwungen, sich ganz auf ihre Straßenkindseite zu konzentrieren, die sie unbarmherzig gemacht hatte, denn sie hatte geglaubt, dadurch die Macht zu haben, das zu beschützen, was sie liebte. Doch Kelsier hatte ihr eine andere Art gezeigt, mächtig zu sein. Und diese Macht hing mit dem Adel zusammen – mit seinen Intrigen, seiner Schönheit und seinen gerissenen Plänen. Vin hatte sich ungeheuer rasch an das Leben bei Hofe gewöhnt, und das hatte ihr Angst gemacht.
Das ist es, dachte sie und lächelte ein weiteres knicksendes Mädchen an. Das ist der Grund, warum ich immer den Eindruck gehabt habe, dass es falsch ist. Ich musste nicht dafür arbeiten; also habe ich nicht glauben können, dass ich es verdient habe.
Sie hatte sechzehn Jahre auf der Straße verbracht – diesen Teil von ihr hatte sie sich hart erarbeitet. Doch es hatte kaum einen Monat gedauert, bis sie sich an das Adelsleben gewöhnt hatte. Es war ihr als unmöglich erschienen, dass etwas, das ihr so einfach zufiel, ein genauso wichtiger Teil von ihr werden konnte wie die auf der Straße verlebten Jahre.
Aber so war es.
Ich musste mich dem irgendwann stellen, erkannte sie. Tindwyl
wollte mich schon vor zwei Jahren dazu bringen, aber damals war ich noch nicht bereit
Sie musste sich nicht nur beweisen, dass sie sich unter dem Adel bewegen konnte, sondern auch dass sie dazugehörte. Denn das bewies noch etwas sehr viel Wichtigeres: dass die Liebe, die sie in den ersten Monaten durch Elant erfahren hatten, nicht auf einer Lüge fußte.
Es … ist wahr, dachte Vin. Ich kann beides sein. Warum habe ich so lange gebraucht, um das herauszufinden?
»Entschuldigt mich, meine Damen«, sagte eine Stimme.
Vin lächelte und drehte sich um, als die Hofdamen Elant Platz machten. Einige der jüngeren hatte einen träumerischen Gesichtsausdruck, als sie Elant mit seinem Kriegerkörper, seinem buschigen Bart und seiner weißen herrschaftlichen Uniform sahen. Vin unterdrückte ein Gefühl der Verärgerung. Sie hatte ihn schon geliebt, lange bevor er zu einem Traummann wurde.
»Meine Damen«, sagte Elant zu ihnen, »wie Herrin Vin Euch gern erzählen wird, besitze ich recht schlechte Manieren. Das wäre an sich eine lässliche Sünde, doch leider mache ich mir nichts aus meiner Missachtung des Anstands. Deshalb werde ich Ihnen jetzt meine Frau entführen und ihre Zeit selbstsüchtig für mich beanspruchen. Ich könnte mich dafür entschuldigen, aber so etwas tun wir Barbaren einfach nicht.«
Mit diesen Worten und einem Lächeln auf den Lippen streckte er Vin den Ellbogen entgegen. Sie erwiderte sein Lächeln, ergriff seinen Arm und erlaubte ihm, sie von dem Damenrudel wegzuführen.
»Ich dachte, du möchtest vielleicht einmal durchatmen«, sagte Elant. »Ich kann mir vorstellen, wie du dich inmitten dieser Armee von aufgeplusterten Frauen fühlst.«
»Ich danke dir für diese Rettung«, sagte Vin, obwohl es nicht ganz stimmte. Wie sollte sie Elant verständlich machen, dass sie sich diesen aufgeplusterten Frauen plötzlich zugehörig fühlte?
Außerdem waren sie nicht schon deshalb ungefährlich, weil sie Rüschen und Schminke trugen – das hatte sie bereits in den ersten Monaten gelernt. Dieser Gedanke lenkte sie ab, so dass sie nicht bemerkte, wohin Elant sie führte, bis sie schon beinahe am Ziel waren.
Als sie es schließlich erkannte, blieb sie sofort stehen und zerrte Elant zurück. »Die Tanzfläche?«, fragte sie.
»Allerdings«, sagte er.
»Ich habe seit fast vier Jahren nicht mehr getanzt!«
»Ich ebenfalls nicht«, entgegnete Elant und trat näher. »Aber es wäre schrecklich, diese Gelegenheit nicht zu ergreifen. Schließlich haben wir noch nie miteinander getanzt.«
Das stimmte. In Luthadel hatte die Revolte eingesetzt, bevor sie die Möglichkeit gehabt hatten, einen Tanz zu wagen, und danach war keine Zeit mehr für Bälle und andere Leichtsinnigkeiten gewesen. Sie wusste, dass Elant es bedauerte, nie diese Gelegenheit gehabt zu haben. Am Abend ihrer ersten Begegnung hatte er sie um einen Tanz gebeten, und sie hatte ihn abgewiesen. Noch immer hatte sie deswegen das Gefühl, an jenem Abend eine einzigartige Gelegenheit ausgeschlagen zu haben.
Daher ließ sie es zu, dass er sie auf die leicht erhöhte Tanzfläche führte. Die Paare flüsterten, und als das Lied zu Ende war, verließen die anderen verstohlen das Parkett, bis Elant und Vin allein zurückblieben – eine Gestalt in Weiß und eine andere in geschwungenem
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