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Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund
Autoren: Andre Norton
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jetzt war es kein eigentliches Geräusch, doch Sander hatte das Gefühl, als würde sein Körper bei jedem Schlag erschüttert – falls es wirklich Schläge waren. Das Schnattern der Waldwesen wurde jetzt lauter.
    Ein letzter Hieb endete in einem heftigen Aufprall. Dann lag Sander auf einer Lichtung, und die Sonne stach ihm in die Augen, so daß er sie gequält wieder schließen mußte.
    Als er den Kopf, so weit es ihm möglich war, zur Seite drehte und vorsichtig wieder die Augen öffnete, sah er gerade noch, wie das letzte der behaarten Wesen in den Bäumen am Ende der Lichtung verschwand. Hatten sie eine Wache zurückgelassen? Und wenn nicht – ob es eine Möglichkeit gab …? Sander krümmte sich: er konnte sich tatsächlich ein wenig bewegen, doch keine der Fesseln lockerte sich. Ihm schien es eher, als würden sie sich nur noch enger zusammenziehen. Seine Anstrengung hatte jedoch dazu geführt, daß er nun einen Blick von Fanyi erhaschen konnte.
    Von den Baummenschen fehlte jede Spur. Fast die gesamte Lichtung, auf der die Gefangenen lagen, war von großen Steinblöcken bedeckt; doch beherrscht wurde die Lichtung von einem Ding, das auf einem Steinhaufen hockte. Es konnte eine unbeholfen aus Holz geschnitzte Figur sein, die deutlich eine Darstellung der Baummenschen, nur in dreifacher Größe, war. Es war eine weibliche Figur. Das häßliche Gesicht war scharlachrot gefärbt, und die Schultern bedeckten Ketten aus polierten Nüssen und Samen. Sie hatte sich mit den Handknöcheln abgestützt, und der Kopf war nach vorne geneigt, als betrachte sie die Gefangenen aufmerksam.
    Und dann …
    Das eine kleine, glänzende Auge, das Sander für ein Stückchen Quarz oder bemalten Stein gehalten hatte, blinzelte. Das Ding war lebendig!
    Sander konnte sich mit dem Abbild abfinden, doch daß dieses riesige Ding lebte, war ein Alptraum. Der Alptraum verdichtete sich, als das riesige Maul sich öffnete und die Fangzähne entblößte, von denen einer abgebrochen war, und die Spitze einer hellen Zunge heraushing wie ein abscheulicher Wurm.
    Das Ding hob den Kopf und schrie – es war ein sonderbarer dünner Schrei wie von einem Nachttier, das sich auf Jagd befindet. Aus den Bäumen antworteten die Baummänner mit lauten zwitschernden Schreien. Sehen konnte Sander sie allerdings nicht.
    Ihre Sprache ähnelte keiner, die Sander kannte, dennoch ließ sie ihn vor Angst erstarren. Er konnte nichts gegen das Netz unternehmen, das ihn so eng umstrickt hielt, als wäre er in den Schraubstock eines Riesen geraten.
    „Aeeeheee!“ Der Ruf wurde zu einem schrillen Schrei. Sander hatte die undeutliche Erinnerung, daß er diesen Ruf schon einmal von Fanyi gehört hatte. Doch er deutete ihn nicht als Hilferuf, sondern als Herausforderung.
    Das Ding auf dem Felsen hörte auf zu schreien. Es bewegte seinen unförmigen Körper auf den Rand seines Hochsitzes zu und drehte den Kopf so weit, daß es das Mädchen betrachten konnte. Dann nahm es scheinbar achtlos einen Felsbrocken auf, der zufällig in der Nähe lag, und warf damit.
    Nur um die Breite eines Fingers verfehlte er Fanyis Kopf. Doch Sander war überzeugt, daß er genausogut ihren Kopf hätte zerschmettern können, wenn diese Kreatur es nur gewollt hätte.
    Das war eine deutliche Warnung. Doch Fanyi achtete nicht darauf.
    „Aeeeeheeee!“ Noch einmal rief sie, und das Echo tönte leise von den Felsen.
    Und jetzt erinnerte sich Sander. So hatte sie damals auf dem offenen Land nach Kai und Kayi gerufen. Spürte sie, daß ihre Freunde in der Nähe waren?
    Das riesige Weibchen grunzte und tastete mit einer Pranke umher, um einen weiteren Stein zu suchen. Doch dann erhob es sich schwerfällig. Sander verschlug es den Atem: diese Kreatur war so riesig, daß sie ihn bestimmt um mehr als Haupteslänge überragte. Sie kletterte langsam von dem Felsen herunter und setzte die Pfoten so, als hätte sie nur geringes Vertrauen in die Festigkeit der Felsbrocken. Als sie den Boden erreicht hatte, beugte sie sich nieder, um nach Fanyi zu greifen. Sander versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Er war überzeugt, er würde Zeuge eines gräßlichen Schauspiels werden.
    Doch da kam, als hätte er Flügel, Kai durch die Luft mit einem drohenden Zischen. Das Tier landete direkt auf den gebeugten Schultern des Riesenweibchens und stieß seinen Kopf gegen den feisten Nacken.
    Die Waldfrau richtete sich mit einem Schrei auf, versuchte die Arme nach hinten zu biegen, um die Zähne des Tiers, die sich tief in
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