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Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund
Autoren: Andre Norton
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steckten zwei lange, gebogene, zugespitzte Gegenstände, die – so meinte Sander – aus Knochen und nicht aus Metall gefertigt waren.
    „Schieß nicht!“ rief Fanyi. „Es hat Angst. Ich glaube, es wird davonlaufen …“
    Noch während sie sprach, machte das Ding einen großen Sprung nach rückwärts und versank im Fluß. Da die Flamme ihrer Fackel nicht weit reichte, war das Wesen augenblicklich verschwunden.
    „Es ist das Feuer – es mag kein Feuer.“ Das Mädchen sprach mit einer derartigen Überzeugung, als hätte sie während der kurzen Begegnung die Gedanken der Kreatur lesen können.
    Rhin schoß an ihnen vorbei dem Ufer zu. Wütend heulte er die Strömung an. Offenbar war er der Meinung, daß der Flußbewohner gefährlich war.
    Wenn sie den Fluß überqueren wollten, um ihre Reise fortzusetzen, würden sie in das Wasser tauchen müssen, in dem das Wesen lebte. Ihm gefiel diese Vorstellung ganz und gar nicht.
    „Was war das?“ fragte er Fanyi, denn sie kannte sich in dieser Gegend wahrscheinlich besser aus als er.
    Sie schüttelte den Kopf. „Zum zweitenmal – ich habe so eine Kreatur noch nie vorher gesehen. Aber es gibt eine Sage, die besagt, daß eines Tages etwas aus dem Meer stieg, die Netze der Bewohner von Padford zerriß und auch einige Fischer mit sich nahm. Das war nach einem großen Sturm, und das Wasser färbte sich rot. Der Gestank war entsetzlich, und von den Fischen starben so viele, daß die Männer sie am Ufer haufenweise verbrennen mußten. Später wiederholte sich das nicht mehr. Aber das alles geschah zur Zeit der Mutter meiner Mutter, und niemand hatte die Meeresgeschöpfe deutlich gesehen. Man behauptete, daß sie Intelligenz besäßen, denn die Netze waren genau an den Stellen durchgetrennt, an denen der schlimmste Schaden angerichtet wurde.“
    „Das sonderbare Wesen“ – Sander ließ sich neben sie nieder – „sah einem Menschen nicht sehr ähnlich.“
    „Es ist eine Kreatur des Wassers“, stimmte sie zu. „Höre!“
    Über dem monotonen Wellengeräusch des Meeres und dem Gurgeln der Flußströmung vernahmen sie ein entferntes Quaken. War der Besucher nur der Kundschafter einer größeren Gruppe? Vielleicht war es dumm, länger so dicht am Flußufer zu bleiben. Aber Sander zögerte trotzdem, in die Finsternis hinauszulaufen.
    Schließlich entschieden sie, daß sie bleiben wollten, wo sie waren, da sie nicht nur ein Feuer hatten, sondern auch die wachsamen Tiere und Rhin. Sander machte sich eine zweite Fackel zurecht, die er mit sich nehmen wollte, um neues Feuerholz zu sammeln. Fanyi holte aus einem ihrer kleinen Säckchen eine Art dicke Stange von der Länge ihrer Handfläche hervor, drehte die Unterseite nach rechts und berührte eine bestimmte Stelle an der einen Seite. Sofort leuchtete der Lichtstrahl auf, der ihn bei ihrer ersten Begegnung geblendet hatte.
    „Das ist ein Früheres Ding“, erklärte sie ihm nicht ohne Stolz. „Es gehörte meinem Vater. Doch er sagte, es würde nur eine bestimmte Zeit leben. Jetzt aber können wir es brauchen.“
    Sander schüttelte den Kopf. „Wenn es sterben wird, dann sollten wir es nur benützen, wenn wir in großer Not sind. Du hast selbst gesagt, daß das Ding Feuer fürchtet, also werden wir Feuer verwenden.“
    Fanyi leuchtete ihm mit der Fackel, und Sander sammelte das Treibholz in der Umgebung ihres Lagers. Er hoffte, der Stoß würde die ganze Nacht reichen. Das Feuer wollten sie niedrig halten, bis auf den Fall, daß der Wasserbewohner wieder auftauchen sollte.
    Wieder teilten sie sich die Wache. Und in dieser Nacht fielen weder Rhin noch die beiden anderen Tiere in tiefen Schlaf. Sie dösten vor sich hin, standen jedoch von Zeit zu Zeit auf und trotteten in die Finsternis. Sander vermutete, daß sie einen Kontrollgang um das Lager machten.
    Er selbst lauschte, ob er das Quaken wieder hörte. Aber alles blieb still. Und selbst, als er seine Wache beendet hatte und schlafen sollte, wachte er bisweilen auf, um zu lauschen und das Feuer zu beobachten.
    Als der Morgen anbrach, ging er hinunter zum Fluß und erwog ihre Chancen, an dieser Stelle hinüberzugelangen. Fanyi behauptete weiterhin, daß das, was sie suchte, jenseits des Flusses, also nach Norden zu, lag und nicht in Richtung Westen. Selbst wenn sie den ganzen Weg, den sie am vergangenen Tag zurückgelegt hatten, zurückgingen, müßten sie immer noch den Fluß überqueren, um ihr Ziel zu erreichen. Man wußte zudem nicht, wie weit die Wasserkreaturen den
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