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Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Norton
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jemand, der ebenfalls ein Zauberpriester sein muß“, fuhr sie fort. „Aber dies hier …“ Ihre Hände ließen den Anhänger los. Sie streckte sie aus, die Finger leicht gebogen, als wollte sie mit ihnen einen unsichtbaren Wasserstrahl auffangen. „Dies hier ist zu stark! Und es ist nicht nur der reine Gedanke – es ist noch etwas anderes …“
    „Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst“, sagte Sander scharf. Er versuchte den Bann, der sie umgab, zu zerreißen. „Ich weiß nichts über Zauberpriester. Meinst du damit, daß jemand kommt?“
    Er warf den Tieren einen Blick zu, aber sie waren ruhig, beobachteten die Szene jedoch aufmerksam. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Rhin ohne eine Warnung zulassen würde, daß ein Fremdling sich näherte.
    Der Ausdruck auf Fanyis Gesicht war voller Erregung, nicht Furcht. Sie kam ihm vor wie ein Schmied, der sich mit einem Problem des Schmelzens beschäftigte und der ganz plötzlich vor der Lösung stand. Er kannte die Spannung gut, die in solchen Momenten über einen kam.
    „Es – da ist kein Feind.“ Sie schien die Worte zu wählen. „Da ist kein Wissen von unserer Gegenwart – das würde ich sofort lesen können. Ich spüre die Kraft einer Aussendung, aber es ist nicht meine Kraft, und ich kann nicht sagen, wie das beschaffen ist, mit dem sie sich beschäftigt. Nur, daß es jemanden gibt, der eine Kraft aussendet. Oh – jetzt ist es verschwunden!“ Sie schien enttäuscht. „Es erreicht mich nicht mehr …“
    Sander wußte, daß sie leidenschaftlich daran glaubte, was sie sagte. Aber er konnte diese Worte nicht für wahr halten, weil sie zu stark mit ihren Vorstellungen verbunden waren. Ein Weiser verbrachte lange Jahre damit, sich zu erinnern, immer und immer wieder den Gesängen vergangener Ereignisse zu lauschen, denn der Stamm brauchte ihre Hilfe, wenn er sich einem Problem gegenübersah. Sie überwachten die Verwandtschaftsverhältnisse und sorgten dafür, daß keine zu enge Blutsverwandtschaft entstand, die die Horde schwächen würde. In ihren Händen lag die Sorge um die Herde, an ihnen war es, die Umrisse des Landes, durch das sie seit der Finsteren Zeit gezogen waren, aufzuzeichnen und zu bewahren. Und dieses Wissen konnte jederzeit dienstbar gemacht werden. Aber der suchende Gedanke? Wie konnte man ohne Körper, Augen, Stimme suchen?
    „Haben die Händler solche Sucher?“ fragte er. Diese Reisenden, die auch die Horde aufgesucht hatten, schienen ihm wenig verschieden von seinen eigenen Leuten. Freilich, sie behüteten ihre Geheimnisse eifersüchtig. Aber das waren Geheimnisse der Wege und der Fundorte, wo sie ihre Handelswaren herhatten. Sie erzählten Schauergeschichten über das Land, das sie durchmessen mußten, um das Metall zu bringen, das man so nötig für Werkzeuge und Waffen brauchte. Aber die Horde war sich darüber einig gewesen, daß sie damit nur einen bestimmten Zweck verfolgt hatten: die anderen abzuschrecken. Man kannte Geschichten von Händlern, die sogar getötet hatten, nur um ihre Versorgungsplätze geheimzuhalten. Sie sagten jedoch nie etwas von suchenden Gedanken.
    „Ich habe nie davon gehört“, antwortete Fanyi. „Die Händler, die nach Padford kamen“ – sie schüttelte erneut den Kopf –, „waren nicht anders als die Dorfbewohner. Aber wir haben bereits Leute gesehen, die nicht von unserem Blute sind. Denk an die Waldmänner oder an die Geschöpfe, die im Fluß schwammen. Diese Welt ist voller Wunder, und der, der wandert, lernt sie kennen.“
    „Die Händler erzählen wilde Geschichten, doch sie sollen nur die Leute abschrecken, damit ihre Plätze, an denen sie die Metalle finden, geheim bleiben.“
    „So jedenfalls haben wir es immer gesagt“, gab sie zurück.
    „Aber vielleicht gibt es einen winzigen Kern Wahrheit in ihren Geschichten.“
    Sander wollte in Gelächter ausbrechen, doch dann besann er sich. Es war wahr: die beiden Begegnungen im Wald und am Fluß hatten seinen Glauben an die absolute Überlegenheit des Menschen erschüttert. Und wenn die Horde auch nur hin und wieder andere Hirten oder auch Händler getroffen hatte, die ihnen glichen, so konnten sie doch nicht mit Sicherheit behaupten, daß sie die einzigen Menschen waren, die es gab. Zum Beispiel das Fischervolk aus Padford war dunkler gewesen und lebte anders. Dann hatte er von den „Haien“ erzählen hören, die Sklaven zusammentrieben, obgleich sich niemand so recht vorstellen konnte, weshalb sie hilflose Menschen jagten und

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