Herrscher über den Abgrund
Händler nicht besonders gastfreundlich waren. Sander hoffte sehr, daß es die Händler waren. Trotzdem nahm er seinen Pfeilwerfer und lockerte sein langes Messer, während er so leise wie möglich zur Tür schlich und das Ohr lauschend dagegen preßte.
Die Falltür
Daß Sander nichts vernahm, mußte nicht bedeuten, daß der Alarm unbegründet war. Er steckte seine Waffe wieder in den Gürtel zurück und wandte sich den Wandborden zu. Man konnte sie vielleicht wie eine Leiter benutzen, um zu einem der Fenster zu gelangen. Rasch räumte er die wenigen Behälter herunter, prüfte die Festigkeit der Bretter, indem er sein gesamtes Gewicht daraufstützte, und fand sie ausreichend stabil. Er kletterte mühsam hinauf, balancierte auf dem schmalen Bord und reckte sich nach oben, um die Fensteröffnung zu erreichen.
Diese war gegen das Eindringen der Kälte mit Glas verschlossen – was ihn verwunderte. Hatte Glas, dieses zerbrechliste Erbe der Vergangenen Zeit, tatsächlich in so großen Stücken alle Zerstörungen überstehen können?
Sander brachte sein Gesicht so nahe wie möglich an die Scheiben. Er bemerkte, daß das Glas nicht klar und durchsichtig war, sondern Unreinheiten und Blasen aufwies. Doch das hinderte nicht seinen Blick: er konnte den Platz vor dem Haus deutlich übersehen.
Die Finsternis des Sturms war vorüber. Es mußte, so schätzte er aus dem schrägen Sonneneinfall, später Abend sein. Doch die Tageszeit interessierte ihn im Moment weniger. Er wollte wissen, was draußen umherschlich.
Vor dem Haus lag ein freier Platz, denn die Büsche und Bäume wuchsen erst in einiger Entfernung. Der Boden war ganz leicht mit Schnee überpudert, und dieser Schnee trug Spuren!
Der Schnee mußte gegen Ende des Sturms gefallen sein, und er begann bereits unter den Strahlen der Sonne zu schmelzen. Die zahlreichen Spuren konnte Sander durch das unsaubere Glas nicht genau erkennen, doch waren sie größer als alle Abdrücke der Tiere, die er kannte.
Unförmig schienen sie ihm, und doch war da etwas mit ihren Proportionen, aber Sander wollte keinerlei Vermutungen anstellen. Er wußte ja nicht einmal, ob nur ein einziges Tier diese Abdrücke hinterlassen hatte. Sander änderte seinen Standort. Er konnte deutlich sehen, wo die Spuren aus dem Wald gekommen waren, doch nicht, ob sie auch dorthin zurückkehrten. Schlich die Kreatur jetzt vielleicht hinter dem Haus herum?
In diesem Augenblick wurde die Stille von einem heulenden Schrei gestört. Sander wäre um ein Haar von seinem schmalen Brett gestürzt. Von unten hörte er als Antwort das Knurren von Rhin und das Zischen der beiden Fischer. Und dann kam leise die Stimme Fanyis.
„Was war das?“
„Ich weiß es nicht.“ Sander versuchte mehr nach rechts und links zu sehen. „Irgend etwas streicht da draußen herum. Aber ich habe es noch nicht sehen können.“
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als eine Gestalt in seinen Gesichtskreis schlurfte. Sie kam von links, als hätte sie gerade das Haus umrundet.
Vor der Tür blieb sie stehen. Der Kopf reichte beinahe bis zu dem Fenster hinauf, hinter dem Sander hinausblickte. Was war das bloß? Ein Tier? Es ging aber aufrecht. Und als Sander es jetzt genauer betrachtete, hatte er den Eindruck, als wäre die schmutzige Haut, in die es eingehüllt war, nicht seine eigene. Waren es Kleider? War das ein Mensch?
Sander schluckte. Das Ding war so groß wie das Waldweib. Der Kopf saß ihm dicht auf den Schultern und war mit buschigen Haaren bedeckt, die ihm beinahe bis in die Augen fielen. Gerade jetzt hob es eine riesige klauenartige Hand oder Pfote und schob das Haar nach hinten.
Er hatte keine Verwandtschaft zu den Waldleuten empfunden, und dies da erschien ihm noch mehr eine Verzerrung des Menschen. Die Beine waren kurz und stämmig, der Rumpf gedrungen und mächtig. Im Gegensatz dazu waren die Arme sehr lang, und die Fingerspitzen schleiften über den Boden, wenn sie nach unten hingen. Der Kiefer glich eher einer Schnauze und war an der Spitze mit einem Bart bedeckt. Das Ungeheuer glich einem Alptraum.
Jetzt schlurfte es auf die Tür zu und stützte sich mit der Faust dagegen, um den Widerstand zu prüfen. Sander hörte das Krachen des Holzes gegen den Balken. Ob sie wohl halten würde?
Rasch sprang er auf den Boden. Die Kreatur schlug nun gegen die Tür – der Balken mochte standhalten oder auch nicht –, während das Knurren von Rhin und den Fischern immer lauter wurde. Offensichtlich hatten sie Grund, den
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