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Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Norton
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gefangennahmen. Sie alle waren auf eine Art auch Menschen.
    Er rief sich jetzt einige der Geschichten der Händler ins Gedächtnis. Angenommen, Fanyi hatte recht? Angenommen, es gab tatsächlich bewaffnete Tiere von enormer Größe, die Menschen töteten; oder fliegende Tiere, die weder Mensch noch Vogel waren, doch von beiden etwas aufwiesen und ihre Krallen gegen normale Menschen hoben? Es war leichter, sich vorzustellen, daß die Erde immer noch an bestimmten Stellen kochte und brodelte und daß die, die sich zu weit in diese Landstriche hineinwagten, von dem Giftbrodem der Luft erstickt wurden oder daß sie langsam in zähem Schlamm versanken.
    „Siehst du“, sie lächelte, „ich habe dich soweit gebracht, daß du alles, was du jemals gehört hast, neu überdenkst. Und deshalb kann es doch auch möglich sein, daß es irgendwo Schamanen gibt, denen gegenüber ich nur ein Kind bin, das nicht einmal die einfachsten Künste der Heilung kennt. Was“, sie öffnete die Hände, als wollte sie alles, was ihr wertvoll schien, an die Brust pressen, „was für Wunder in der Welt auch existieren mögen, sie liegen offen da, wenn wir den Mut haben, nach ihnen zu suchen! Wenn jemand gelernt hat, nach fremden Gedanken zu suchen, dann werde ich das auch tun! Gehöre ich denn nicht zu einer Sippe, für die diese Fähigkeiten so nötig wie Fleisch und Wasser sind? Ich mag jenen jung und unwissend erscheinen, und doch kann ich mit Bestimmtheit sagen: wir sind von der gleichen Art, deshalb laßt mich von euch lernen.“
    Sander beobachtete sie besorgt. Ja, er konnte diesen Wissensdurst verstehen, denn es war auch sein eigener. Was er wollte, war jedoch ein Wissen, das greifbare Resultate bringen würde. Er beschäftigte sich nicht mit ungreifbaren Dingen wie Gedanken, die frei und losgelöst vom Körper waren und umherstreiften. Er wollte lieber erfahren, was er alles mit seinen Händen erreichen konnte, wenn sie von seinem Wissen gelenkt wurden.
    „Ich habe geglaubt“, begann er, um sie auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen, „du wolltest nach einer Waffe suchen, damit du dein Volk rächen kannst.“
    „Und weißt du denn nicht“, gab sie scharf zurück, „daß Gedanken gute Waffen sein können, wenn man sie richtig verwendet? Ja, ich habe den Toten gegenüber eine Schuld; denke nicht, ich hätte es vergessen.“ Ihre dunklen Wangen röteten sich. „Jetzt sollten wir schlafen.“ Sie erhob sich. „Meine Pelztiere und dein Rhin sollen für uns Wache halten.“
    „Das Feuer …“
    Fanyi lachte. „Hab keine Angst. Kai weiß sehr viel.“ Sie legte eine Hand auf den Kopf des größeren der beiden Tiere, die sie auch Fischer nannte. „Er wird über das Feuer wachen. Er hat es auch schon früher getan.“
    Sie wählte eine Koje aus und wickelte sich in ihre warmen und trockenen Kleider. Sander beobachtete sie, dann folgte er ihrem Beispiel. Das letzte, was er noch wahrnahm, war, wie der größere Fischer ein Scheit aus dem Holzbehälter zerrte und geschickt in das Feuer schob, als hätte er tatsächlich ähnliches des öfteren vorher getan.
    Sander legte sich zum Schlafen nieder. Er träumte, er liefe durch einen langen, finsteren Tunnel. Das Geräusch eines Hammers auf Metall zog ihn magisch an, denn er suchte einen Schmied, der alle Geheimnisse kannte.
    Etwas Kaltes berührte ihn und brachte ihn augenblicklich in die Wirklichkeit zurück. Über ihn gebeugt stand Rhin, der ihn mit der Schnauze berührt hatte. Sander setzte sich auf.
    Das Geräusch des Windes und das Trommeln des Regens hatten aufgehört. Es war so still, daß er seinen eigenen Atem hörte und das leise Knistern des Feuers. Aber die Fischer ruhten nicht mehr neben der Feuerstelle. Sie saßen links und rechts neben der verrammelten Tür. Und als Rhin sah, daß Sander hellwach war, wandte er sich ebenfalls in diese Richtung. Dabei schien er aufmerksam zu lauschen:
    Sander setzte sich auf und suchte seine Stiefel. Sie waren beinahe trocken, aber es war mühsam, sie überzustreifen. Er lauschte. Hören konnte er nichts, aber er verließ sich ganz auf die Tiere, und er zweifelte nicht daran, daß irgend jemand oder irgend etwas nahe genug war, um sie zu beunruhigen. Die Händler, die zu ihrer Hütte zurückkehrten?
    Das brauchte kein Grund für Angst zu sein. Die Gesetze der Gastfreundschaft, die überall, nur nicht bei den „Seehaien“, beachtet wurden, würden ihr Eindringen bei einem derartig heftigen Sturm entschuldigen – auch dann, wenn die

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